Kuhhandel statt Strategie

Die Präsidenten von Brasilien und Argentinien wissen keine Lösung für die Krise. Am Mercosur halten sie fest, Rufe nach staatlicher Intervention werden laut  ■ Aus Buenos Aires Ingo Malcher

Schlechtes Klima für das Treffen der beiden Präsidenten. Eigentlich wollten Brasiliens Staatschef Fernando Henrique Cardoso und sein argentinischer Kollege Carlos Menem sich nordöstlich von São Paulo treffen, um nach Lösungen für die Brasilien-Krise zu suchen, doch wegen Nebels leiteten sie ihre Flugzeuge kurzerhand nach San José dos Campos um. Dort schien die Sonne, allerdings nur außerhalb des Verhandlungssaals. Menem hatte bei dem Gespräch mit Cardoso die Beschwerden des argentinischen Industriellenverbandes (UIA) im Ohr, der das Land von brasilianischen Billigprodukten überschwemmt sieht.

Seitdem das Nachbarland Brasilien anfang des Jahres seine Währung abgewertet hat, sind brasilianische Produkte wesentlich billiger als die argentinischen. Gleichzeitig hat Brasilien weniger Kaufkraft, und die Exporte Argentiniens nach Brasilien sinken, da argentinische Waren plötzlich teurer sind. Gleichzeitig fällt die brasilianische Währung Real weiter. Der argentinische Peso ist per Verfassung einen Dollar wert, doch die Krise in Brasilien zieht Argentinien in eine schwere Rezession.

Gemeinsame Konzepte müssen her, darin sind sich Menem und Cardoso einig. Denn die Turbulenzen können für den gemeinsamen Markt in Südamerika, Mercosur, zu dem sich Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay formiert haben, gefährlich werden. Nur fehlen beiden Präsidenten die Ideen, wie solche Konzepte aussehen könnten. Daher kam bei dem Treffen in San José dos Campos auch nicht vielmehr raus, als eine Zusage Cardosos, die Exportsubventionen zu streichen. Insgesamt subventioniert Brasilien seine Wirtschaft mit sechs Milliarden Dollar, zehn Prozent davon stützen die Exporte in den Mercosur.

Brasilien ist der wichtigste Handelspartner Argentiniens, gut ein Drittel aller Exporte wird nach Brasilien geliefert. Doch diese sinken immer tiefer, um so mehr sich die Lage in Brasilien verschlechtert. Gerade die Autobranche, Motor des argentinischen Wachstums, trifft das hart. Mehr als 90 Prozent des jährlichen Exports in Höhe von 2,6 Milliarden Dollar gehen nach Brasilien. In der Branche heißt es, daß durch die Währungsturbulenzen weniger als die Hälfte exportiert wird. Fabriken, darunter Renault, Ford und Fiat, haben die Bänder abgestellt.

Gleichzeitig sind brasilianische Produkte in Argentinien billig zu haben, vor allem Textilien, Elektroartikel und Agrargüter. Ende Januar sind doppelt so viele brasilianische Schuhe auf dem Markt gewesen wie Anfang Januar. Im Falle von Elektroartikeln macht die argentinische Unternehmervereinigung gar eine Steigerung von 180 Prozent aus. Die argentinische Regierung sieht allerdings noch keinen Beweis dafür, daß eine Flut brasilianischer Produkte in das Land ströme. Im Januar wurden Waren in Höhe von 350 Millionen Dollar aus Brasilien importiert. Das ist ein Drittel weniger als im Januar 1998. Cardoso führt an, daß „eine Wirtschaft nicht so schnell ihre Struktur umstellen kann, daß sie in kürzester Zeit so viel mehr exportieren kann“.

Mit der Währungskrise in Brasilien gerät Mercosur ins Strudeln. In Argentinien rufen Unternehmer wieder nach Schutzmechanismen, und überhaupt hat man den Schuldigen für die derzeitige Rezession des Landes gefunden: Brasilien. Der von jeglichem wirtschaftlichem Sachverstand vollkommen unbeleckte Gewerkschaftsboß Rodolfo Daer wütete, daß Brasilien mit der Abwertung seiner Währung gegen die „Prinzipien des Mercosur“ verstoßen habe.

Dabei hat der Mercosur vor der Krise beide Wirtschaften vorangebracht. Von 1990 bis 1997 wuchs der Handel in der Region, und auch der Außenhandel der Mercosur-Länder verdoppelte sich. Wenn Argentinien jetzt Schutzzölle auf brasilianische Waren kassieren würde, wäre dies ein schwerer Rückschlag in den Bemühungen, einen gemeinsamen südamerikanischen Markt zu schaffen, der das Gewicht der Region gegenüber Europa und Nordamerika stärken könnte. Doch niemand weiß, wie lange in Brasilien die Währungsturbulenzen noch weitergehen und die argentinische Wirtschaft damit in der Rezession steckt.

Mit der dünnen Übereinkunft von San José dos Campos ist der Mercosur noch nicht gerettet. Zwar sagte Menem zum Abschluß, daß der Mersosur „vertieft werden muß, um die Krise zu überwinden“. Doch genau dazu kam es bei dem Treffen der beiden Präsidenten nicht. Das Ergebnis ist ein billiger Kuhhandel und nicht eine gemeinsame Strategie gegen die Krise, was heißen müßte, die Wirtschaftspolitik von Grund auf zu ändern.