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Landeerlaubnis nur in der Türkei

■ Mit der Verhaftung Öcalans geht eine viermonatige Odyssee zu Ende. Syrien wies ihn auf Druck der Türkei aus, Italien wollte ihn loswerden, Kenia den PKK-Chef eine Weile "parken"

So oder so ähnlich muß es sich abgespielt haben: Zwölf Tage ließ sich Abdullah Öcalan in der griechischen Botschaft aushalten und schaute zu, wie die Regierung in Athen versuchte, einen dauerhaften Aufenthaltsort für ihren Geheimgast zu finden. Das Ergebnis war ernüchternd: Sämtliche Regierungen, bei denen die Griechen anklopften, sagten nein. Und je intensiver die diplomatischen Bemühungen wurden, um so mehr Staub wurde aufgewirbelt.

Am Montag meldeten dann Agenturen unter Berufung auf „Regierungskreise in Athen“, Griechenland habe bei einem Treffen der EU-Botschafter versucht, die Anwesenden davon zu überzeugen, den Fall Öcalan auf höchster EU-Ebene zu behandeln. Damit ließ sich erahnen, daß die Griechen den Kurden unter ihre Fittiche genommen hatten – Öcalans Aufenthaltsort drohte aufzufliegen.

Am gleichen Tag faßte der PKK-Chef den Entschluß, noch einmal zu versuchen, in die Niederlande zu fliegen, um sich dort dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu stellen. Das Land, das ihn bereits einmal hatte abblitzen lassen, indem es ihm die Landeerlaubnis verweigerte, war Öcalans letzte Hoffnung. Und immerhin bot ein Prozeß vor dem Haager Gerichtshof die Chance, die gesamte Kurdenfrage zu thematisieren. Die Türkei hätte mit auf der Anklagebank gesessen.

Doch die Rechnung ging nicht auf. Um 18.00 Uhr verließ Öcalan am Montag die Botschaft in Nairobi – auf eigenen Wunsch, wie die griechischen Behörden betonen. Öcalan wurde von kenianischen Polizisten abgeholt, die versprachen, ihn zum Flughafen zu eskortieren, aber darauf bestanden, daß Öcalan seine Begleiter zurücklasse. Man kann sich die Verzweiflung des sonst stets auf Sicherheit bedachten PKK-Chefs ausmalen, die ihn dazu trieb, dieses „Angebot“ anzunehmen.

Es war eine Falle. Zwar landete Öcalan in einem Flugzeug, jedoch in Begleitung von Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes MIT. Wahrscheinlich wird er nie erfahren, was die türkische Regierung den Kenianern geboten hat, damit sie Öcalan ans Messer liefern – und ebensowenig, ob die Griechen an dem Deal beteiligt waren oder nicht.

Mit Öcalans Verhaftung geht eine viermonatige Odyssee zu Ende. „Ich befinde mich nicht in Syrien, sondern in Kurdistan“, zitierte Mitte Oktober die PKK- nahe Nachrichtenagentur DEM den Vorsitzenden. Tatsächlich saß Öcalan zu dem Zeitpunkt irgendwo in der Nähe von Moskau.

Vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen Syrien und der Türkei. Die Türkei forderte von dem Nachbarstaat, der Öcalan seit Jahren beheimatete, die Hilfe für die PKK einzustellen. Um diese Forderung zu untermauern, ließ die türkische Armee Panzer Richtung syrische Grenze rollen, und aus Ankara kam die Drohung, man könne ja auch den Tigris absperren und damit Syrien buchstäblich das Wasser abdrehen.

Das zog. Syriens Staatschef Hafis al-Assad setzte Öcalan vor die Tür. Per Flugzeug reiste Öcalan sehr wahrscheinlich zuerst nach Athen. Doch die griechische Regierung verweigerte dem PKK- Chef die Einreise, dementierte eilig sogar den Umstand, daß er überhaupt griechischen Boden berührt hatte. Ende Oktober tauchten dann in den türkischen Medien Berichte auf, Öcalan halte sich in Rußland auf. Was PKK-Anhänger unisono bestritten, bewahrheitete sich am 13. November. In einer Linienmaschine aus Moskau und mit einem gefälschten Paß in der Tasche landete Öcalan in Rom, mit dem Ziel, sich als kurdischer Exilpolitiker legal in Europa niederzulassen. Aufgrund eines Haftbefehls aus Deutschland wurde er prompt festgenommen.

Da Deutschland aus Sorge um die Ruhe im eigenen Land auf einen Auslieferungsantrag verzichtete und eine Auslieferung an die Türkei wegen der dort existierenden Todesstrafe verfassungsrechtlich nicht möglich war, hatte die italienische Regierung ein Problem. Bis zum 17. Januar residierte Öcalan in einer Villa in Rom, dann wurde ihm der Druck zu groß. Bei Nacht und Nebel machte er sich aus dem Staub. Der PKK-Chef sei in Estland, Armenien, der Ukraine, Südafrika oder Libyen spekulierten türkische Zeitungen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß Öcalan sich in einem der Nachfolgestaaten der Sowjetunion versteckte. Vermutlich kannte der eng mit dem israelischen Mossad und der US-amerikanischen CIA kooperierende türkische Geheimdienst MIT den Aufenthaltsort.

Wie aus dem Nichts tauchte Öcalan am 31. Januar wieder auf. Der PKK-Chef sei an dem Sonntag mit einer Privatmaschine im Anflug auf Rotterdam gewesen, meldeten niederländische und türkische Medien. Da ihm der Tower aus „technischen Gründen“ die Landung untersagt habe, sei die Maschine wieder abgedreht. Beobachter begannen daraufhin, über Spritmengen zu spekulieren und auf Landkarten konzentrische Kreise um Rotterdam zu malen. Für zusätzliche Verwirrung sorgte Öcalans Anwältin Britta Böhler. Die in Amsterdam arbeitende Spezialistin für internationales Recht erklärte: „Die Luftnummer gab es nicht.“ Tatsächlich habe Öcalan aus einem Drittland in Rotterdam angefragt, ob er dort landen dürfe. Als die Antwort „Nein“ lautete, habe er auf den Start verzichtet.

Gegen diese Behauptung sprechen Informationen aus Griechenland, wonach Öcalan an jenem Sonntag in der Nähe der nordwestgriechischen Stadt Préveza gelandet sein soll und zwar auf der Nato- Basis Aktion. Öcalan habe die Landung mit der Begründung erzwungen, sein Tank sei leer und es läge doch sicher nicht im Athener Interesse, wenn er auf griechischem Boden zerschelle. Sollte diese Variante stimmen, wäre auch erklärt, wie der PKK-Chef in die griechische Botschaft in Nairobi kam. Die Regierung in Nairobi wollte ihn „parken“, bis ein neuer Aufenthaltsort gefunden war. Kenia schien da unauffällig und sicher – vermeintlich. Thomas Dreger

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