: Achtung, Lauschangriff!
■ Die Videokünstlerin Ute Friederike Jürß hat sich in New York umgehört und stellt ihre zum Kunstwerk verarbeitete Spionage in der Weserburg vor
Die taz-Lebenshilfe empfiehlt: Passen Sie künftig auf beim Straßenbahn- und Metro-Fahren oder beim Gang über öffentliche Plätze. Denn Ute Friederike Jürß könnte in der Nähe sein und einen ihrer großen Lauschangriffe starten. Sätze wie „Ja, ich weiß, ich habe meinen Anwalt gefragt, und er hat gesagt, er müsse bei der Mafia sein, oder so“ schnappt sie dabei auf. Auch folgender Dialog entgeht ihr nicht: „Mr. Baker möchte dich sehen.“ „Ich habe euch unten gesehen, ich wußte nicht, worüber ihr geredet habt.“ „Der bringt mich um, der bringt mich um.“ Doch zum Glück (oder leider?) ist Ute Friederike Jürß vor allem in New York mit ihrem Schreibblock und Stift unterwegs. Nach Bremen mitgebracht hat sie „nur“ die Ergebnisse ihrer Lauschangriffe, die in Gestalt einer Videoinstallation ab Freitag im Neuen Museum Weserburg zu hören und zu sehen sind.
Schon 1995 hat das Bremer Filmbüro die gebürtige Wiesbadenerin und Wahl-New-Yorkerin mit dem Bremer Videokunst-Förderpreis ausgezeichnet. Dieser als einzigartig geltende Preis beschert dem Filmbüro jährlich über 70 Einsendungen aus dem ganzen Bundesgebiet, weil mit ihm Projekte und keine fertigen Arbeiten honoriert werden. Turnusmäßig hätte Ute Friederike Jürß ihre damals ausgezeichnete Arbeit „A Capella Portraits“ ein Jahr später in Bremen zeigen sollen. Durch Zufall und wegen Terminschwierigkeiten scheiterte das. Die „A Capella Portraits“ – eine Arbeit über deutschstämmige USA-Einwanderer – sind inzwischen mehrfach in Deutschland gezeigt worden. So wird im Neuen Museum Weserburg zum ersten Mal Jürß' Lauschangriff alias „It's in My Memory“ präsentiert.
Drei Projektionen in den Videogrundfarben Blau, Rot und Grün flackern da an der Wand ganz oben im Otte-Raum. Sprachfrequenzkurven (auf Neudeutsch: Speech patterns) huschen von links nach rechts vorbei. Aus drei Laut- oder Leisesprechern tönt Gemurmel einer in breitem American English sprechenden Frauenstimme. Erst bei näherem Hinhören schälen sich Verabredungsdialoge, Gerede über Geld, Geld und noch mehr Geld oder sogar eine lebensbedrohliche Situation wie mit dem oben zitierten Mr. Baker heraus. Ute Friederike Jürß hat sie erst belauscht, dann notiert und dann selbst auf Band gesprochen. „It's in My Memory“ – es schwirrt halt in ihrer Erinnerung herum.
Wenn Ute Friederike Jürß in ihrer Wahlheimat New York U-Bahn fährt, nimmt sie die Satzfetzen nach Hause mit. Gelegentlich träumt sie auch davon. Jedenfalls träumt sie schon auf Englisch, wenn sie überhaupt mit Sprache träumt. Die nach der Bremer Förderpreisverleihung mehrfach mit Preisen und Stipendien bedachte Künstlerin sagt: „Ich habe das Gefühl, mich wie in einer Sprachwolke zu bewegen.“ Knapp 70 Sprachfetzen hat sie für ihre Installation benutzt. Und sie betont, daß eine New Yorker Sprachwolke anders ist als eine Wolke in Berlin: Englisch sei der gemeisame Nenner im Melting Pot New York. Und: „Wenn ich Englisch spreche, bin auch ich anders.“ Etwas davon hat sie nach Bremen importiert.
Ihr Konzept geht in der Weserburg nämlich auf: Sie will, daß man an ihrer Installation genauso vorbeischlendert, wie man über New Yorks Straßen läuft. Und schlendert man mit geschlossenen Augen, ist Big Apple tatsächlich nicht fern. Man kann dabei übrigens auch reden – Mikrophone sind im Raum nicht installiert. Und Ute Friederike Jürß zieht sich nach der Eröffnung wieder in die Sprachwolken New Yorks zurück.
Christoph Köster
P.S.: Ute Friederike Jürß hat sich ein neues Projekt vorgenommen und nutzt dafür das Internet. Seit einigen Wochen sammelt sie Lügen und will das „worldwide archives of lies“ aufbauen. Lügen aller Art sind deshalb unter folgender Adresse willkommen: http://www.goethe.de/lies .
„It's in My Memory“ in der Weserburg; Eröffnung morgen, 19. Februar, 19 Uhr. Jürß stellt dabei auch ihre geförderte Arbeit „A Capella Portraits“ vor. Ausstellungsdauer: bis 14. März
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen