Das Geheimnis des Gebens

Feinmechanik im Zeitalter der Quarzuhr: Das Berlinale-Forum präsentiert eine Auswahl von indischen Independent-Filmen aus dem südlichen Bundesstaat Kerala  ■ Von Philipp Bühler

In einem düsteren Krankenzimmer wartet Amma bei ihrer Tochter Sarasu auf die Geburt des Enkelkindes. Was es wohl zu erwarten hat? „Die Erde birgt die Gerüche des ganzen Lebens, aber sie kann dem Teakbaum nur den Geruch von Teak geben.“ Ganz still verkündet uns Amma das Geheimnis irdischer Existenz, und es hört sich an wie das Manifest eines indischen Materialismus, der „Janmadinam – Der Tag der Geburt“ deutlich unterscheidet vom grellbunten Melodram der (Film-)Metropole Bombay.

Der indische Independent-Film hat seine regional umgrenzte Heimat im südlichen Bundesstaat Kerala, der seit Jahrzehnten kommunistisch regiert wird. Ein realistisches Kino, in dem Tradition, Religion und Musik zugunsten sozialer Bodenhaftung etwas zurückstehen müssen, findet unter den überdurchschnittlich gebildeten und politisch engagierten Keralesen seine Fans. Im Forum der Berlinale sind mit „Janmadinam“, „Bhoothakkannadi – Das Vergrößerungsglas“ und der Othello- Adaption „Kaliyattam“ drei auf unterschiedliche Weise charakteristische Filme dieses südindischen „Neorealismus“ zu sehen. In Kerala ist es gelungen, den Status der Frau gegenüber dem restlichen Indien immerhin zu verbessern.

Doch ist „Janmadinam“-Regisseurin Suma Josson mit ihrem ersten Spielfilm immer noch die einzige Frau in einer Männerwelt. So wie sie ihren Film beim alljährlichen Trivandrum-Festival auf die vorderen Plätze durchboxen mußte, stehen Amma und Sarasu am Anfang neuer Wege, die zu gehen Kraft erfordert.

Nicht erst Sarasus Schwangerschaft hat die beiden entzweit. Die Vergangenheit einer zum Teil gewaltsamen Familienbeziehung wird ohne linearen Zusammenhang in Rückblenden durchlitten, ein im indischen Film unübliches Vorgehen. Sarasu liebt einen jungen Kameramann in Bombay, ihr Vater aber hat sie an den einheimischen Raghu verheiratet. Immer wieder wandert sie mit ihren Gedanken zwischen Provinz und Metropole hin und her. In Bombay hat sie einen Job beim Fernsehen, tauscht den Sari mit Hose und Hemd und steht ihrer großen Liebe Ajay bei, der als Zeuge der gewalttätigen Unruhen von 1993 immer mehr verzweifelt. Das Baby und die Heirat zwingen sie zu einer Entscheidung. Zwischen Glück und Unglück habe sie immer das Unglück gewählt, gesteht ihr die Mutter, und es fällt ihr nicht leicht, der Tochter einzuschärfen, mit dieser Tradition zu brechen. Ein sehr andächtiger Film, der nicht viele Worte macht und sich ganz auf die Ausdruckskraft seiner wunderbaren Schauspieler verläßt.

Im etwas heitereren „Bhoothakkannadi“ von Ambazhathil Lohithadas geht es zunächst um ähnlich stille Prozesse. Der Uhrmacher und alleinerziehende Vater Mani haust zwar wie alle anderen im Dorf in einer pittoresken Holzhütte, findet sich aber bereits auf der Seite der Modernisierungsverlierer. Wer läßt sich im Zeitalter der Quarzuhr schon seine Taschenuhr reparieren. Um so größer wird ihm die Bedeutung seines Vergrößerungsglases, durch das der sensible Sonderling die Welt neu erkundet.

Auch seine Jugendliebe, die Sängerin Sarojini, erzieht ihre Tochter alleine. Zaghaft versucht sie, sich Mani wiederanzunähern. Liebe und Familienglück sind fast perfekt, als ihre Tochter brutal ermordet wird. Mani bringt den bösen Vogeljäger um, den „Dämon“, den er für den Mörder hält, und muß ins Gefängnis. Es stellt sich heraus, daß ihm sein Arbeitsgerät die Wahrnehmung der Welt eher verzerrt als erleichtert. Ein Loch in der Gefängnismauer läßt ihn sein eigenes Schicksal, durch das Vergrößerungsglas allegorisch widergespiegelt, noch einmal durchleben. Eine romantische Parabel aus dem Dschungel, die dem keralischen Ernst die notwendige Prise Humor beimischt.

Forum: „Janmadinam“: 19.2., 16.30 Uhr, Delphi; 20.2., 23 Uhr, Arsenal; 21.2., 19.30 Uhr, Akademie

„Bhoothakkannadi“: 18.2., 16.30 Uhr, Delphi; 19.2., 23 Uhr, Arsenal; 20.2., 11 Uhr, Zoo Palast; 19.30 Uhr, Akademie

„Kaliyattam“: 18.2., 11 Uhr, Zoo Palast; 20.2., 16.30 Uhr, Delphi; 21.2., 22.30 Uhr, Arsenal