Chuzpe ist keine Krankheit

■ Die Videodokumentation „Sara“ konfrontiert Bilder des heutigen Berlin mit Erinnerungen der Holocaust-Überlebenden Sara Bialas

Vielleicht eine Krankheit“, sagt eine Passantin am Alexanderplatz, als sie von den Filmemachern nach der Bedeutung des Wortes „Chuzpe“ gefragt wird. Ein älterer Herr antwortet auf dieselbe Frage: „Ich bin zwar kein Judengegner, aber damit habe ich nichts zu tun.“

Passanten, die über Berliner Boulevards und Plätze eilen, kommen in Syd Atlas' und Uwe Lauterkorns Videodokumentation „Sara“ genauso häufig vor wie die mittlerweile fast schon gewohnten und routinierten Aufnahmen von den Baustellen am Potsdamer Platz und im zukünftigen Regierungsviertel: Bilder des Aufbaus und der Betriebsamkeit, konfrontiert mit den Erinnerungen der jüdisch-polnischen Shoah-Überlebenden Sara Bialas.

Der Kontrast, oft in Form einer Text-Bild-Schere noch gesteigert, macht sehr deutlich, welche Botschaft Atlas und Lauterkorn fürs Publikum haben: Wo so viel Neuanfang ist wie gerade in Berlin, da darf die Vergangenheit erst recht nicht vergessen werden.

Bialas, Anfang der dreißiger Jahre im polnischen Czenstochau geboren, wurde 1942 ins Frauenkonzentrationslager Großrosen verschleppt. Nach dem Krieg ging sie nach Israel, 1961 wegen einer drohenden Haftstrafe nach Ost- Berlin, wo sie sich und andere Juden nicht gerade willkommen wußte: „Wir waren existent, wurden aber ignoriert.“

Noch heute lebt sie in ihrer Ostberliner Wohnung, umgeben von ausgestopften Tieren, Puppen, Plüschtieren. Hier erzählt sie Atlas und Lauterkorn von den Stationen ihres Lebens, von der Empörung beispielsweise, die sich in Israel artikulierte, als 1955 die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik beschlossen wurde.

Oder davon, wie die Nazis die inhaftierten Frauen nackt aufmarschieren ließen. Indem die Täter die Opfer unentwegt zwangen, Schamgrenzen zu übertreten, sorgten sie dafür, daß sich die Häftlinge schuldig fühlten.

Leider ist es den Regisseuren nicht gelungen, eine adäquate Filmsprache für solche furchtbaren Beobachtungen zu finden. „Sara“ bewegt sich in den konventionellen Bahnen eines Fernsehfeatures. Wenn vom Abtransport nach Großrosen die Rede ist, werden Bilder von Eisenbahnschienen im Herbstlaub gezeigt; wenn es um die Kindheit im Ghetto geht, sieht man Vorschulkids, die auf einem Spielplatz herumtollen. Etwas mehr als solche Tautologien hätten Bialas' Erinnerungen schon verdient. Cristina Nord

Heute, 17.45 Uhr und 0.30 Uhr, im Arsenal