„Gesamter ärztlicher Sachverstand ausgegrenzt“

■ Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer, über die Reform des Gesundheitswesens

taz: Wie beurteilen Sie Frau Fischers Konzept zur Veränderung des Gesundheitswesens?

Karsten Vilmar: Es erscheint mir wie ein Fleischragout, in das Heringe und Schokoladencreme hineingekommen sind. Das muß noch sortiert werden.

Freut es Sie nicht, daß die Hausärzte gestärkt werden?

Das entspricht unseren Forderungen. Fraglich ist, ob Frau Fischer den richtigen Ansatz gefunden hat. Dem Hausarzt wird als Lotse viel an Kompetenz beigemessen, vielleicht zu viel. Außerdem ist nicht zu erkennen, wie das Bonussystem funktionieren soll. Denn die gesetzliche Krankenversicherung ist eine Solidargemeinschaft, die keine Gelder zurückzahlt.

Die Gesundheitsreform soll die stationäre und ambulante Versorgung besser verzahnen. Wissen Sie, wie das aussehen könnte?

Es ist vernünftig, die Krankenhäuser nicht generell zu öffnen. Deren kostenintensive Infrastruktur muß man für diejenigen nutzen, die ihrer auch bedürfen, also für schwer diagnostizierbare und behandelbare Fälle.

Sie gehen in vielen Punkten konform mit Frau Fischer. Ist Ihre scharfe Kritik verflogen?

Ich habe sie nicht scharf angegriffen. Auffällig ist bei dem vorgelegten Papier allerdings, daß Frau Fischer den gesamten ärztlichen Sachverstand konsequent ausgegrenzt hat. Die Ärztekammern will sie offenbar nicht in das Reformverfahren einbeziehen.

Soll eine neue Organisation von Kliniken und Ärzten darüber befinden, welche Aufgaben die ambulante und welche die stationäre Versorgung hat?

Ob das eine neue Organisation sein soll, weiß ich nicht. Jetzt ist zunächst Kooperation angesagt.

Um das Gesundheitswesen neu zu strukturieren, müssen auch Sie guten Willens sein. Sind Sie dazu bereit?

Natürlich, denn wir haben ununterbrochen Vorschläge gemacht – wir haben doch nicht auf Frau Fischer gewartet. Das Globalbudget allerdings geht nicht auf die Zunahme älterer Patienten und deren Versorgungsbedarf ein. Auch läßt es den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt der Medizin außer acht. Unverständlich ist auch die große Macht, die den Krankenkassen als Geldsammelstelle gegeben werden soll. Sie allein können demnächst über die Bedürfnisse der entmündigten Patienten entscheiden. Wo der Patient seine Entscheidungsbefugnis noch haben soll, bleibt offen.

Sie wollen sich einmischen?

Unser Gesprächsangebot an Frau Fischer steht nach wie vor. Wir warten natürlich ab, wie die Koalition über ihr Papier beraten wird. Interview: Annette Rogalla