Tödliche Treue zu Abdullah Öcalan

■ Israelische Sicherheitsbeamte erschießen drei Kurden. Die PKK-Aktivisten wollten das Konsulat in Berlin stürmen. Weitere Proteste in ganz Europa. Anhänger des PKK-Chefs besetzen die SPD-Zentrale in Hamburg

Berlin/Istanbul (taz/dpa) – Die Verhaftung Abdullah Öcalans hat – indirekt – die ersten Toten in Europa gefordert. In Berlin erschossen gestern israelische Sicherheitsbeamte drei Kurden, die das örtliche Generalkonsulat stürmen wollten. Der Grund für die geplante Besetzung: Die Kurden vermuten hinter der Festnahme des PKK-Chefs helfende Hände des israelischen Geheimdienstes Mossad. Ein vierter Kurde, der schwerste Kopfverletzungen erlitt, hatte nach Worten eines Polizeisprechers nur eine geringe Überlebenschance. Er sei mit einer Kugel im Kopf in eine Spezialklinik verlegt worden. Das Konsulat war am Abend immer noch weiträumig von Polizeibeamten abgeriegelt.

Nach Polizeiangaben hatten Anhänger des PKK-Chefs versucht, in den Diplomatensitz im Stadtteil Wilmersdorf einzudringen. Israelische Sicherheitskräfte eröffneten nach diesen Angaben dabei das Feuer. Bei den Auseinandersetzungen seien mehrere Menschen verletzt worden – darunter auch Polizisten. Die Polizei nahm gestern nachmittag 120 Kurden fest. Die Demonstranten sollen zum Teil mit Eisenstangen bewaffnet gewesen sein. An der Schießerei sind die deutschen Behörden nicht beteiligt gewesen, erklärte die Polizei.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte zu den Ereignissen, die Sicherheitsbeamten in Berlin hätten sich an die bekannten Richtlinien gehalten. „Wir bedauern den Verlust jedes Menschenlebens, aber wir sind zur Verteidigung unserer Bürger und unserer diplomatischen Vertretungen verpflichtet.“

Bundeskanzler Gerhard Schröder kündigte ein entschiedenes Vorgehen gegen Gewaltaktionen von Kurden an. „Wir können es nicht dulden, wenn auf deutschen Straßen Konflikte ausgetragen werden, die nicht unsere Konflikte sind“, sagte Schröder in Schwerin. Schröder rief die besonnenen kurdischen Kräfte auf, auf ihre emotionsgeladenen Landsleute einzuwirken. Der Kanzler bedauerte den Tod der drei Kurden, doch werde die Regierung keine Abstriche an ihrem konsequenten Kurs machen. Bundesaußenminister Joschka Fischer zeigte sich „entsetzt über die Nachrichten“ und forderte eine Deeskalation und Rückkehr zum Gewaltverzicht. Innenminister Otto Schily drohte dagegen gewalttätigen Kurden erneut mit Abschiebung.

In Hamburg besetzten gestern etwa 30 PKK-Anhänger die SPD-Zentrale, sie nahmen eine Geisel. Nach Polizeiangaben wurde eine Sekretärin verletzt. Die Kurden zerschlugen Mobiliar und warfen Computer aus dem Fenster. Besetzer errichteten Barrikaden und drohten damit, sich anzuzünden. In Hannover kesselte die Polizei rund 250 Kurden ein. Zuvor waren aus der nach Polizeiangaben „hochaggressiven Menge“ Steine auf die Polizisten geworfen worden. In Leipzig, wo am Vortag im griechischen Generalkonsulat drei Geiseln genommen worden waren, erließ die Stadt bis zum Sonntag ein Versammlungsverbot für Anhänger der PKK.

Bundeskanzler Schröder forderte in einem Appell an die Türkei ein rechtsstaatliches Verfahren gegen Öcalan. Die türkischen Behörden sollten internationale Beobachter zulassen. Bislang läßt sich die türkische Regierung davon jedoch nicht beeindrucken. Auf dem Istanbuler Flughafen verweigerten Grenzbeamte gestern Öcalans aus Amsterdam eingereister Anwältin Britta Böhler und zwei ihrer Kollegen die Einreise und schickten sie zurück. Ein weiterer niederländischer Jurist im Dienste Öcalans saß gestern nachmittag noch im Transitbereich des Flughafens fest und bestand auf seinem Recht, seinen Mandanten zu sehen.

Fernsehzuschauer weltweit hatten gestern die Chance, den Triumph des türkischen Geheimdienstes mitzuerleben. Zuerst zeigte der türkische Sender n-tv und dann CNN Videoaufnahmen aus dem Flugzeug, das den PKK-Chef von Kenia nach Istanbul brachte. Zu sehen waren ein ziemlich betretener Öcalan in Handschellen, dem eine mit Klebestreifen befestigte Augenbinde abgenommen wird, sowie mit schwarzen Gesichtsmasken ausstaffierte türkische Geheimdienstler. taud

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