„Die Lüge ist eine Waffe“

■ Interview mit Valeria Bruni Tedeschi, der Kommissarin in Chabrols „Farbe der Lüge“

Mitten im Gespräch setzt sie an zu einer Lobeshymne auf Sandrine Bonnaire. „Sie ist so subtil.“ Daß dieser Charakterzug auch auf Valeria Bruni Tedeschi selbst zutrifft, scheint nebensächlich. Mit diesem Underplay entspricht sie dem Bild, das Filme wie Patrice Chéreaus „Wer mich liebt, nimmt den Zug“ (1997) oder Noémie Lvovskis „Oublie-moi“ (1993) von ihr geprägt haben. Borderline-Charaktere, immer ein wenig zurückgezogen, verhuscht und zögerlich, so als sei sie sich ihrer Wirkung nicht ganz bewußt. Eine leicht kratzige, manchmal sehr leise Stimme verstärkt noch diesen Eindruck. Dagegen scheint sie in Chabrols „Au Coeur du Mensonge“ eine ganz andere Person zu sein.

taz: Was war für Sie das Ausschlaggebende, in Claude Chabrols 51. Film die Rolle der Kriminalkommissarin zu übernehmen, die einen Fall von Kindesmißbrauch und Mord lösen muß?

Bruni Tedeschi: Vor allem natürlich Chabrol selbst. Sein Film „La Cérémonie“ (dt. „Biester“) mit Isabelle Hupert und Sandrine Bonnaire ist einer meiner Lieblingsfilme. Chabrol zeigt immer virtuos den verschlungenen Weg, auf dem die Figuren dazu gekommen sind, sich letzten Endes wie Monster zu benehmen. Die Begegnung mit dem Regisseur ist entscheidend, um zu erkennen, wie seine Vision aussieht. Ein Regisseur ist nicht wie ein Spezialitäten- Restaurant, jeder ist anders. Das Skript kam für mich erst an zweiter Stelle, die globale Bedeutung der Geschichte von „Die Farbe der Lüge“. An dritter Stelle dann steht die Rolle, die ich spiele. Die Figur der Kommissarin Frédérique Lesage ist sicherlich eine der ungewöhnlichsten weiblichen Ermittlerinnen im Kino. Weder besonders tough, eher schüchtern und verschlossen. Keine Frau, die viel von sich reden macht, sondern die lediglich Fragen stellt und von sich selbst nichts preisgibt.

Für mich war die Rolle sehr interessant. Bisher habe ich tatsächlich eher Persönlichkeiten verkörpert, die sehr introspektiv waren. Wo ich sehr auf die Empfindungen geachtet habe. Hier dagegen ist die Figur stets beobachtend, Fragen stellend. Sie ist völlig auf ihre Arbeit konzentriert, darauf, ein Problem zu lösen, d.h. ein Verbrechen aufzuklären. Es ist, als würde ich mich ganz nach außen kehren. Dieser Unterschied zu früheren Rollen hat mir gefallen. Wenn man ins Drehbuch schaut, dann enden die meisten meiner Sätze mit einem Fragezeichen. Frédérique Lesage ist eine fordernde Figur, die voller Spannung die Antworten heraushört. Die ein, zwei Momente, in denen man etwas von ihr erfährt, sind bedeutsam. Da bekommt man eine Ahnung davon, was hinter der Oberfläche steckt. Um dieses Unsichtbare habe ich sozusagen herum gespielt. Es ist da, aber nicht sichtbar.

Betreibt die Figur Camouflage? Ist ihr linkisches Auftreten Tarnung?

Das hat mich in der Tat amüsiert. Die Kommissarin soll nicht feminin, soll nicht verführerisch erscheinen, also habe ich versucht, ihr einen maskulinen Anstrich zu geben. Unbeholfenheit hat mit Schüchternheit zu tun, mit einer inneren Zerbrechlichkeit.

Auch bei „Wer mich liebt, nimmt den Zug“ von Chéreau war Ihre Rolle ähnlich. Weiblich, aber nicht bemüht, verführerisch zu wirken.

Die „Verführung“ ist für mich als Schauspielerin wirklich ein Problem. Nur weil man eine weibliche Person in einem Film ist, muß man nicht unbedingt verführerisch sein. Im Gegenteil. Das geschieht nicht automatisch, sondern ich entscheide das. Außerdem gibt es Tausende Formen der Verführung. Die Schüchternheit, genauso wie die Unbeholfenheit, können zugleich verführen und manipulieren. Die Kommissarin lenkt ihr Gegenüber damit ab, die Leute fühlen sich sicher bei einer so zarten Person. Letztlich geht es dabei darum, Macht über andere zu haben, was ja das Thema des Films ist, und was für jeden einzelnen Charakter etwas anderes bedeutet. Alle lügen, aber die Kommissarin lügt, um die Wahrheit rauszufinden.

Was bedeutet der Titel für Sie?

Es läuft darauf hinaus, daß der Mensch von Natur aus ein Lügner ist. Mit der Lüge kommt man im Leben voran, sie ist eine Waffe, ein Schutz. Sie verleiht Macht. Das Entscheidende bei Chabrol und dieser Geschichte des kleinen Mädchens ist, daß die Regie ohne Skandalismen auskommt. Vom Moment an, da dieser Mord geschehen ist, gleich zu Beginn des Films, ist es Ernst, danach richten sich alle Figuren. Interview: Gudrun Holz