Berlinale-Anthropologie
: Unter Philologen

■ S.-Probleme: Du synchronisieren deutsch?

Der Tag mit den Schneemassen. Unberührt liegen sie noch auf manchen Autos. Sonst sind sie zusammengekehrt oder bilden schon Tauwasserteiche an den Straßenkreuzungen, über die man springen muß beim Überqueren.

Nachmittagssonnenschein, als ich vom Kurfürstendamm in die Fasanenstraße einbiege. Der Schnee glänzt wie auf dem freien Land. Aber ich komme nicht in die Fasanenstraße hinein: Ein kräftiger junger Mann zeigt mir seine Polizeimarke, es werde noch fünf bis zehn Minuten dauern. „Haben sie wieder einen Kurden erschossen?“ fragt bitter-erfreut ein Kulturbürger, der dasselbe Ziel anstrebt wie ich. – Sie haben ein verdächtiges Auto aufgetan, mit dessen Inspektion Fachleute in kugelsicheren Westen befaßt sind. Auch die Fahrbahn der Fasanenstraße ist blockiert durch die Spezialistenfahrzeuge. Ich denke an Franz Fuchs. Vielleicht möchte gleich was in die Luft fliegen. Sicherheitshalber gehe ich um die Ecke und inspiziere die Gedenktafel für Robert Musil, der sich hier in seine ultimative Schreibstörung hineinarbeitete. Die Geschichte mit den erschossenen Kurden wird mir erst am Abend Jörg Lau erzählen; deshalb färbt sie diese Geschichte hier jetzt nicht ein.

In dem Literaturzentrum ging es an diesem Nachmittag um Philologisches; das Thema war also am richtigen Ort. Eine Agentur hatte zur Verleihung eines Preisse eingeladen für die schlechteste Synchronisation und für eine gute: Der Preis sei unterdessen „janusköpfig“, sagte der Moderator in Bildungssprache. Man prämiere in diesem Fall positiv den Verzicht auf Synchronisation und die sorgfältig formulierten Untertitel.

Leroi, der Amerikaner, versteht solche Agenturen nur mühsam. Sie sind e.V. und verstehen sich als Korrektur- und Kontrollinstanzen. Ohne sie – denken sie – führt das Marktgeschehen direkt ins Unheil. Leroi, der Amerikaner, hält Synchronisation ohnedies für ein Überbleibsel der Großmachtträume aus den dreißiger und vierziger Jahren. Wer synchronisiert denn? Die ehemaligen Achsenmächte – Italien, Japan, Deutschland...

Mich beschäftigte was Theoretisches. In diesem Literaturzentrum stand für die Diskussion niemand bereit, der mit dem Problem literarischer Übersetzung vertraut ist. Sie fingen ganz von vorn an. Zur Einleitung führte der Moderator, ein franziskanisch magerer, bebärteter und behaarter Mensch, an Beispielen Synchronisationsprobleme vor. Die Mundstellung ist bei dem italienischen Wort eine ganz andere als im Deutschen; Marcello Mastroiannis Stimme ist im Original ganz anders als bei den verschiedenen deutschen Sprechern (interessanterweise bemühte der Moderator eine ganze Ideologie: weit weniger „machistisch“, was wohl nur ein Italiener, der wie ein Einheimischer Deutsch spricht, beurteilen könnte); Szenen, in denen Italienisch und Deutsch vorkommen, werden in der Synchronisation vereinheitlicht, womöglich umgeschrieben. (Vor allem ging's also um italienisches Kino. Ich sag's doch, griente Leroi, die ehemaligen Achsenmächte halten immer noch zusammen.)

Ich persönlich hätte aber das Problem mit Siegfried Schürenberg beisteuern können. Er hat eine Reihe von Hollywoodstars synchronisiert, ich kann nur raten: manchmal James Mason, manchmal Henry Fonda, ich bin unsicher. Aber immer, wenn ich Siegfried Schürenberg höre, muß ich grinsen, und der Film bekommt einen Makel. Siegfried Schürenberg, das ist der volltrottelige Polizeichef „Sir John“ aus den Edgar-Wallace- Verfilmungen der Fünfziger und Sechziger, und angesichts dieser Trottel-Auftritte ist's unmöglich, seine Stimme als kräftig, männlich („machistisch“), tragend zu hören, was sie womöglich ist. – Babette, die Kollegin aus Hamburg, führte später in der Bar ein positives Gegenbeispiel an: Christian Brückner, dessen Stimme so unabweisbar diejenige Robert de Niros auf deutsch geworden sei, daß unsereins Robert de Niro mit seiner eigenen Stimme verwirrt.

Dies sind die Probleme, auf die literarische Übersetzer sich verstehen, und von denen die Kritiker der Filmsynchronisation noch gar nichts zu wissen scheinen. Die Übersetzung transportiert ein Werk; Original mit Untertitel, worauf der werkgetreue Cineast, der sich in dem dunkel getäfelten und tapezierten Versammlungsraum des Literaturzentrums auch als „Idealist“ outete, hinauswill, das ist Kneifen, ästhetischer Defätismus. Als Kinogeher weiß ich, wie James Mason sich auf deutsch anhört (nicht wie Siegfried Schürenberg). Michael Rutschky

Foto: Wenn Jerry Lewis Deutsch spricht, hält der Amerikaner das für ein Überbleibsel des NS-Imperialismus.