GAU in Indien knapp verhindert

Nach sechs Jahren Schweigen kommt erst jetzt ans Licht: 1993 wäre das Atomkraftwerk in Narora nach einem Brand im Maschinenraum fast in die Luft geflogen  ■ Von Reiner Metzger

Berlin (taz) – Am 31. März 1993 stand Indien kurz vor einer nuklearen Katastrophe. Wie erst jetzt über Expertenkreise hinaus bekannt wurde, brach damals ein Feuer im Atomkraftwerk Narora 180 Kilometer östlich von Neu- Delhi aus. Nur die besonnene Reaktion der Techniker vor Ort konnte ein Schmelzen des Reaktorkerns und damit eine Katastrophe à la Tschernobyl verhindern, berichtet der World Information Service of Energy (Wise) in der Februar-Ausgabe seines News Communique.

Nach Berichten der indischen Nuklearbehörde und des Reaktorbetreibers begann alles mit einem Turbinenschaden in dem 220-Megawatt-Meiler. Zwei Stahlschaufeln des vom Reaktordampf getriebenen rotierenden Generatorrades brachen durch Materialermüdung. Mit einem Schlag blockierte die tonnenschwere Turbine und knackte ihr Gehäuse. Schmieröl entzündete sich und setzte die Maschinenhalle in Brand.

Die Bedienungsmannschaft rief den Notfall aus, weil die werkseigene Feuerwehr einen so großen Brand nicht löschen konnte. Die Reaktorleistung wurde gedrosselt, was jedoch einige Zeit dauerte. Gleichzeitig ließ die AKW-Mannschaft Dampf in die Atmosphäre ab, um den Druck in den Reaktorleitungen möglichst schnell zu mindern.

Doch die Situation wurde schwieriger, weil das Feuer die nebeneinanderliegenden Kabel für die Strom- und die Notstromversorgung verbrannte. Dadurch versagten die Pumpen, die den Reaktor kühlen. Im AKW fielen gar die Lichter aus. Die Wachmannschaft öffnete nun sofort per Hand die Schieber der Wasserleitungen zum Meiler. Außerdem kletterten vier Männer auf den Reaktor und schütteten Bor-Lösung hinein, die Neutronen einfängt und so zusätzlich die Kettenreaktion der Uranspaltung bremst.

Der Unfall hätte zu einer teilweisen Kernschmelze oder einer Explosion führen können, sagte der damalige Vorsitzende der indischen Atomaufsichtsbehörde, Adinarayana Gopalakrishnan. Sein Vertrag wurde 1996 nicht verlängert, nachdem er einen 300 Seiten starken Bericht über die Sicherheit sowohl des zivilen als auch des militärischen Nuklearprogramms Indiens vorgelegt hatte.

Narora ist wie andere indische AKW ein Schwerwasserreaktor, der auch mit nichtangereichertem Natururan läuft. Das in Indien abgebaute Uranerz kann also direkt zu Brennstäben verarbeitet werden. Natururanreaktoren sind ideal für militärische Zwecke: Sie produzieren mehr Plutonium 239, den bevorzugten Stoff für Atombomben – von denen Indien inzwischen ja einige gezündet hat.

Indische AKW im Internet: www.hiindia.com/npc