Die Rituale nach der Schlichtung

IG-Metall-Chef Zwickel nennt das Ergebnis der Schlichtung „erfreulich“. Die Arbeitgeber verzichteten dagegen auf eine Übernahmeempfehlung, für die ostdeutsche Industrie seien „Marscherleichtungen“ nötig  ■ Von Annette Rogalla

Berlin (taz/dpa) – Das Ergebnis der Nacht wird diskutiert, debattiert und gewogen. In den Betrieben der Metall- und Elektroindustrie gab es gestern nur ein Thema: der Spruch des Schlichters Hans- Jochen Vogel. Nachdem sie 30 Stunden lang miteinander verhandelt hatten, reichten sich Gewerkschaftsleitung und Arbeitgeber in der Nacht zum Donnerstag die Hand. Ab dem 1. März sollen die Löhne um 3,2 Prozent steigen. Außerdem wird ein Einmalbetrag in Höhe eines Prozents des Jahresgehalts gezahlt, für Januar und Februar zahlen die Arbeitgeber eine Pauschale von 350 Mark. Der neue Tarifvertrag soll 14 Monate laufen.

Mit diesem Ergebnis könne man doch gut leben, heißt es in der Stuttgarter Gewerkschaftszentrale des Tarifbezirks von Baden-Württemberg. Aber Berthold Huber, Regionalchef der IG Metall, will sichergehen. Die Beschäftigten sollen gründlich über das Erreichte nachdenken. Für kommenden Dienstag hat er die Betriebsräte und Vertrauensleute der Firmen zur Abstimmung gebeten. Nach dieser Bedenkzeit soll das Erreichte endgültig besiegelt werden.

Der Sieger der langen Nacht steht schon heute fest: Berthold Huber. Drei Tage nach seinem 49. Geburtsag hat er bewiesen, daß er im harten Tarifpoker mithalten kann. Er hat die größte Begehrlichkeit der Arbeitgeber abwenden können. In der Metallindustrie wird es keine Lohnzahlungen geben, die an den Ertrag der jeweiligen Firma gekoppelt werden. Das dürfte Huber, der bislang als Mann des gemäßigten Gewerkschaftsflügels galt, das Wohlwollen von IG- Metall-Frontkämpfer Klaus Zwickel einbringen. Mit diesem Abschluß weiß der erste Vorsitzende seine Gewerkschaft auf einer einheitlichen Linie.

„Erfreulich“ nannte Zwickel gestern das Ergebnis der Schlichtung. Nun sollten alle regionalen Arbeitgeberverbände der Branche es „unverzüglich übertragen“. Für den Fall, daß die Arbeitgeber sich weigern, werde die Gewerkschaft es sich „Tarifgebiet für Tarifgebiet holen“.

Die Angesprochenen signalisieren Widerwillen. Hubert Fugger von der Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg ist zwar „froh, daß ein Arbeitskampf abgewendet wurde“. Er ist aber unsicher, ob sein Verband das Ergebnis mittragen wird: „Wir müssen miteinander reden“, sagte er zur taz.

Rein formal ist die Sache klar. Im September vorigen Jahres hatten Arbeitgeber und Gewerkschaft vereinbart, alle Tarifabschlüsse, die in Baden-Württemberg erzielt werden, automatisch auf die östlichen Bundesländer mit einmonatiger Zeitverzögerung zu übertragen. Als Gegenleistung verzichtet die IG Metall bis Ende 2000 auf eine Absenkung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden. Die Gewerkschaft beharrt auf diesem Vertrag. Falls sich der Verband weigere, das Schlichtungsergebnis anzuerkennen, werde die IG Metall mit Streiks antworten, drohte gestern Bezirkschef Hasso Düvel.

Das Ergebnis sei zu hoch und treibe mittelständische Ost-Unternehmen in den Ruin, klagt Ostmetallchef Manfred Kreutel. Er sprach gestern zwar nicht von einem Ausstieg der Ost-Arbeitgeber aus dem Arbeitgeberverband, aber Kreutel will wieder eigene Tarifverhandlungen mit der IG Metall einführen. Diese aber verweigert sich. Unisono meinten gestern alle Gewerkschafter aus den östlichen Tarifbezirken, sie sähen den Schlichterspruch als verbindlich an. Wer den Spruch nicht übertrage, werde vertragsbrüchig.

Die aufrechte Haltung schüchtert die Arbeitgeber nicht ein. Werner Stumpfe, Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, verzichtete gestern bereits auf eine Übernahmeempfehlung. Jetzt seien „Marscherleichterungen“ für die ostdeutsche Industrie vonnöten. Darüber müßten „besondere Verhandlungen“ geführt werden. Stumpfe hat diese Haltung nötig. Im Osten sind immer weniger Unternehmen Mitglied im Arbeitgeberverband.

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