: Intoleranz in Illertissen
■ Weil die CSU ihre Unterschriftenlisten auch in Geschäften auslegt, rief eine SPD-Stadträtin zum Boykott auf. Nun erhält sie Drohanrufe
Illertissen (taz) – Bis vor wenigen Wochen meldete sich Juliane Gulde, Sozial- und Jugendreferentin des Illertisser Stadtrates, noch freundlich mit ihrem Namen, wenn bei ihr das Telefon klingelte. Inzwischen hört man nur noch ein kurzes „Hallo“. Seit kurzem wird die SPD-Stadträtin in der beschaulichen Kleinstadt in Bayerisch- Schwaben massiv belästigt und von anonymen Anrufern bedroht. „Ich wurde als Türkenhure und Ausländerhexe beschimpft“, berichtet Juliane Gulde. „Deutschland den Deutschen“, hätten die Anrufer ins Telefon gebrüllt. Und: „Dein Schädel fliegt auch noch weg!“
Angefangen hat alles mit der Unterschriftenaktion der CSU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und einem gewissen Übereifer der Illertisser Christsozialen. In der bei Ulm gelegenen 14.500-Einwohner-Stadt legten sie ihre Unterschriftenlisten nicht nur an den Info-Ständen der Partei, sondern auch in einigen Geschäften aus. Diese „Politik über die Ladentheke“ wollte Juliane Gulde nicht hinnehmen. In einem Interview mit der örtlichen Lokalzeitung kündigte sie an: „Wenn die CSU- Unterschriftslisten in den Geschäften ausgelegt werden, dann rufe ich meine Freunde und auch die Ausländer dazu auf, nicht mehr dort einzukaufen.“
Zuerst gab es wütende Leserbriefe. Gulde solle sich an 1933 erinnern, da hätte man auch zum Boykott gegen die Geschäftsleute aufgerufen, gegen die Juden damals. „Die haben einfach alles verdreht“, sagt die Mittvierzigern und siebenfache Mutter. „Die CSU hat hier ihren rechten Rand sehr weit nach außen gesteckt.“ Dann kamen die anonymen Anrufe.
Juliane Gulde hält einen Boykottaufruf für legitim: „Denken Sie nur an die Brent-Spar-Geschichte.“ In der CSU-Aktion sieht sie einen Verstoß gegen die Menschenrechte, zum ersten Mal gehe es in Deutschland in einer Unterschriftensammlung gegen Menschen.
Sehr viele Geschäftsleute haben die CSU-Listen nicht ausgelegt. Kaum einer ist bereit, sich zu den Vorgängen zu äußern. Beim Metzger in der Ortsmitte heißt es, der Chef und die Chefin seien nicht da. Doch es ist die Inhaberin selbst, die dem Reporter diese Auskunft gibt. Der Optiker um die Ecke räumt ein, daß es inzwischen Schwierigkeiten mit den Listen gegeben habe: „Einige Kunden haben sich aufgeregt und gesagt, sie kaufen nichts mehr bei uns, weil das ausliegt. Wir haben's nach hinten gelegt“, sagt er. „Wenn jemand reinkommt und das verlangt, dann kann man jederzeit unterschreiben.“
Das deckt sich nicht ganz mit den Aussagen des CSU-Ortsvorsitzenden Armin Oßwald: „Nach den Aufrufen der Frau Gulde haben wir die Aktionen in den Geschäften sehr schnell wieder beendet.“ Ohnehin hätten die Listen in den Geschäften, anders als an den Info-Ständen auf dem Marktplatz, verhältnismäßig wenig Unterschriften eingebracht. Die Einbeziehung der ortsansässigen Unternehmer hält der CSU-Chef für legitim. Schließlich habe auch die SPD, als es beispielsweise um den Erhalt der Ambulanz am Krankenhaus ging, Unterschriften in Illertisser Geschäften gesammelt. Die Drohanrufe bei der Stadträtin bedauere er, so Oßwald.
Von „rechtsextremen Auswüchsen“ spricht Bürgermeister Karl-Heinz Brunner (SPD). Über die Intoleranz einiger Illertissener sei er traurig und erschüttert. Die Bevölkerung selbst ist gespalten. Die Vorgänge um die Drohanrufe haben die Bürger polarisiert, sie sorgen für Unruhe und Zwietracht, die man hier nicht gewöhnt ist.
Ähnlich ging es im oberpfälzischen Regensburg zu. Hier haben einige kritische Studenten auf ihre ganz eigene Weise auf die CSU-Listen reagiert (taz vom 15.2.99). Satirisch gingen sie mit leicht abgeänderten Unterschriftenlisten in die Fußgängerzone. „C.S.U. – Clowns sammeln Unterschriften“ stand im typischen CSU-Schriftzug auf den Faltblättern, in denen die Losung stand: „Nein zur doppelten Staatshörigkeit – Ja zur Integration der CSU“. Dreihundert Bürger hätten innerhalb kurzer Zeit unterschrieben, und nur zehn Prozent davon, so die Initiatoren, hätten den satirischen Inhalt überhaupt begriffen. Klaus Wittmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen