Mord oder Totschlag?

■ 27jähriger Mann wegen Totschlags an seiner Ehefrau vor Gericht. Er erstach seine Frau vor den Augen des fünfjährigen Kindes. Nebenklage glaubt an Mord.

Die Tat klingt grausam. Am Morgen des 7. September 1998 sticht der damals 26jährige Kurde Hasan K. seine geschiedene Frau mit einem etwa 25 Zentimeter langen Brotmesser nieder. Die 34jährige wollte ihren Sohn gerade in den Kindergarten bringen. Das Kind, fünf Jahre alt, muß zusehen, wie der Vater seine Mutter ersticht. Die Frau sinkt zu Boden und ist auf der Stelle tot. 16 Stiche heißt es im Protokoll des Gerichtsmediziners. Seit gestern muß sich Hasan K. wegen Totschlags vor dem Bremer Landgericht verantworten.

Zusammengesunken sitzt er auf der Anklagebank. Sagen will er nichts. Sein Anwalt verliest eine Erklärung. „Mein Mandant räumt ein, seine Ehefrau niedergestochen zu haben. Er bedauert aufs Tiefste, sich und seine Familie ins Unglück gestürzt zu haben.“ Als ein Augenzeuge, der die Tat von seinem Balkon aus beobachtet hat, den Hergang in allen Einzelheiten schildert, schlägt der Angeklagte die Hände vors Gesicht. Sein Brustkorb bebt. Er krümmt sich und weint tonlos in seine Hände. Über seine Motive schweigt er noch immer. Das Gericht muß sich anhand von Zeugenaussagen ein Bild machen.

Mit 14 Jahren kommt Hasan K. nach Deutschland. Ein Jahr später lernt er seine spätere Ehefrau, eine Türkin, kennen. Sie ist 23. Zwei Jahre später wird das erste Kind geboren. Die beiden heiraten. „Er hat im Kindesalter angefangen, Kinder zu kriegen“, sagt sein Anwalt. Außerdem sei die Frau viel älter gewesen als ihr Mann. „Wenn man in die Akte schaut, fällt das sofort auf.“ Will er andeuten, daß sich der Angeklagte seiner Frau gegenüber unterlegen fühlte?

Die Ehe sei zunächst sehr glücklich gewesen, bestätigen Zeugen. Drei weitere Kinder werden geboren. Die Familie lebt von Sozialhilfe. Hasan K. wird drogenabhängig, dealt und kommt mit dem Gesetz in Konflikt. Er wird wegen kleinerer Drogendelikte und Körperverletzung vorbestraft. Er schlägt seine Frau. Die Frau wehrt sich. Sie zeigt ihren Mann an und flüchtet ins Frauenhaus – dreimal. Immer wieder vermittelt der Onkel des Angeklagten zwischen den Eheleuten. Die Frau lenkt ein und kehrt zurück. Hasan K. schlägt sie wieder. Die Frau geht ins Frauenhaus und reicht die Scheidung ein.

Nach der Scheidung bleibt das Paar wegen der Kinder in Kontakt. Der Onkel vermittelt. Die beiden versuchen es noch einmal miteinander. Die Frau wird schwanger. Noch während der Schwangerschaft flüchtet sie wieder ins Frauenhaus. „In dieser Beziehung ging es wohl ständig hin und her“, sagt ein Kripobeamter. Das fünfte Kind wird geboren. Der Onkel versucht zu vermitteln. Doch die Frau will nicht mehr.

Immer öfter gibt es Streit um das Besuchsrecht der Kinder. Am Abend vor der Tat soll die Ehefrau dem Vater verweigert haben, seine Kinder zu sehen. Am Morgen sei er zur Wohnung seiner Frau gegangen. Er habe gehofft, nur die Kinder anzutreffen, hat der Angeklagte gegenüber der Polizei ausgesagt. Er sei sehr böse gewesen. Zufällig habe er seine Frau auf der Straße getroffen. „Ich habe die Nerven verloren und zugestochen“, heißt es im Vernehmungsprotokoll, aus dem auszugsweise zitiert wird. „Ich kam erst wieder zu mir, als meine Frau unter mir lag und das Kind weinte.“ Das Messer habe er nur dieses eine Mal bei sich getragen.

Ein Zeuge beobachtet die Tat von seinem Balkon. „Ich dachte, er schlägt die Frau. Ich rief: ,Eh, Mann'. Er sah hoch, nahm das Kind und rannte weg.“ Hasan K. rennt zur Wohnung seines Onkels und klingelt. „Ich habe meine Frau umgebracht“, schreit er in die Sprechanlage. „Das glaube ich nicht“, gibt der Onkel laut Protokoll zurück. „Es waren 20 Stiche“, schreit Hasan K. Der Onkel kommt runter auf die Straße. Hasan K. ist weg. Er rennt zur Wohnung eines anderen Verwandten. Er will seinen Sohn unterbringen. Die Polizei kommt. Widerstandslos läßt Hasan K. sich festnehmen. „Mir kommt alles wie ein Alptraum vor, ich mache mir Sorgen um meine Kinder“, sagt er den Beamten kurz darauf im Verhör. Zur Tatzeit sind die Kinder zwischen acht Monaten und neun Jahren alt.

Peter Gohlke, der Anwalt der Eltern des Opfers, glaubt nicht an eine Affekthandlung. Der Angeklagte habe sich am Tag vor der Tat bei seinem Onkel erkundigt, wann die Frau die Kinder zur Schule bringe. Außerdem habe er die Stiche während der Tat offenbar genau gezählt. Und daß der Angeklagte ein 25 Zentimeter langes Brotmesser zufällig bei sich geführt habe, sei ebenfalls eher unwahrscheinlich. Der Staatsanwalt geht derzeit von Totschlag aus. Die Eltern fordern eine Verurteilung wegen Mordes. Der Prozeß wird diese Woche fortgesetzt.

Kerstin Schneider