Die Entführung Öcalans und die Griechen –betr.: „Öcalan kippt griechische Minister“, taz vom 19.2.99, „Kein Befreiungsschlag“, „Öcalan, ein griechisches Dilemma“, taz vom 20./21.2.99

Der griechische Ministerpräsident Simitis gehört zu den Hauptverantwortlichen für die Entführung Öcalans. Nun versucht er, seine eigene Verantwortung auf einige Minister und Beamte zu verschieben. Jeder, der die Stimmung in der griechischen Öffentlichkeit einigermaßen kennt, könnte mutmaßen, bald käme das Ende der Regierung Simitis. Selbst Abgeordnete seiner Partei fordern seinen Rücktritt. Die Kurden in ganz Europa sind empört über den Verrat seitens des Landes, das ihnen bisher die größte Solidarität erwies.

Scham und Empörung empfindet das gesamte griechische Volk (ich auch, und nicht nur einige „Türkenhasser“). Die kurdischen Mitbürger haben keinen Grund, gegenüber den Griechen (einschließlich Botschafts- und Konsulatsbeamten) Feindseligkeit zu empfinden. Das griechische Volk bleibt weiterhin solidarisch mit ihrem Freiheitskampf.

Wir wissen noch nicht, ob Simitis vor einem Ultimatum der Türkei bangte oder amerikanischen Anweisungen für Gegenleistungen in der Ägäis- und der Zypernfrage folgte; Gegenleistungen, die andererseits auch Drohungen implizieren. Erst jetzt fangen die deutschen Medien an, darüber genau zu informieren (besonders die taz durch die ausgezeichneten Berichte von Niels Kadritzke), was sich in Athen vor und nach der Abreise Öcalans nach Kenia ereignete und jetzt noch ereignet und was in der griechischen Botschaft in Nairobi geschah, nachdem der Botschafter und vor allem der Sicherheitsoffizier den telefonischen Anweisungen beziehungsweise Drohungen des inzwischen entlassenen Außenministers Pangalos, „Öcalan gleich aus der Botschaft rauszuschmeißen“, zunächst nicht gehorchten. Die allgemein als korrupt geltenden griechischen Sicherheits- und Geheimdienstbehörden, aber auch einige zwielichtige „Supernationalisten“ haben zur Auslieferung Öcalans direkt oder indirekt beigetragen. Sicher ist, daß Israel an der Aktion gar nicht beteiligt war, obwohl bekannte Antisemiten (zahlreiche davon gibt es auch in der regierenden sozialistischen Pasok) für die Verbreitung dieses Gerüchts sorgten. (Derartige unbegründete, leichtsinnige Meldungen, die reine Spekulationen – fremd jeder Logik – waren, verbreiteten auch einige TV-Moderatoren und angebliche „Experten“, die – freilich ungewollt – zu moralischen Anstiftern des Blutvergießens in Berlin wurden. Leider leben einige Journalisten und Politiker von Dämonisierungen, egal ob es sich um den Mossad, die PKK oder sonstwas handelt.)

Öcalan ist angeblich nur ein Terrorist! Als „Terroristen“ galten viele Staatsgründer: die Gründer des neuen griechischen Staates, der Republik Irland, des Staates Israel, der Palästinenserführer Arafat, Nelson Mandela, die UCK und viele andere. Wenn nicht mit Öcalan selbst, falls er getötet wird, werden die europäischen Staatsmänner mit einem Nachfolger jedoch künftig verhandeln müssen. Vernünftig wäre, wenn sie es bereits getan hätten. Und Abschiebungen von Kurden in die Türkei kann sich die Bundesregierung nicht leisten.

Die türkischen Militaristen (deren Marionette Ecevit ist) versuchen, den chauvinistischen Mob durch die Entwürdigung Öcalans zu befriedigen. In Wirklichkeit beleidigen sie den größten Teil des türkischen Volkes und entwürdigen den türkischen Staat. Denn sie beweisen noch einmal, daß er ein inhumaner und undemokratischer Unrechtsstaat ist, der – mit der jetzigen Staatsführung – nicht mal als Kandidat von der Europäischen Union akzeptiert werden kann. Obiges schreibt kein Türkenhasser. (Siehe taz v. 6./7.2.99, S.4!) Andreas Christinidis, Politikwissenschaftler, Linden