Schöner neuer Huxley

■ Englisches Theater-Ensemble zeigte in Bremen die Bühnenversion von „Brave New World“

Es ist Montag und somit nicht gerade Theatertag. Trotzdem ist das Bremer Schauspielhaus fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Und das gleich zweimal und am gestrigen Dienstag auch noch zweimal, obwohl auf der Bühne Englisch gesprochen wird. Ein Ensemble namens „The International Theatre Company London“ macht's möglich. Denn diese Company, die seit einigen Monaten durch Deutschland tourt und nach Gastspielen in Städten wie Paderborn oder Altenburg/Thüringen jetzt auch in Bremen angekommen ist, hat einen echten Renner im Angebot: die Theaterfassung von Aldous Huxleys „Brave New World“ („Schöne Neue Welt“).

Wie fast alle SchülerInnen im Englisch-Leistungskurs wissen und manche auch bestaunen, hat Huxley seine literarische Utopie schon 1932 geschrieben. Doch seine – so erkannte er später selbst – viel zu weit ins 25. Jahrhundert vordatierte Vision vom totalen Fürsorge- und Konsumstaat mit der Staatsdroge Soma und der staatlich verordneten, aber nicht von allen gelebten Promiskuität wirkt noch immer frisch und aktuell. Obwohl „Brave New World“ fast wie ein Filmdrehbuch geschrieben ist, verhinderten Huxleys Erben bislang eine Kinofassung der Geschichte. So müssen die SchülerInnen, für die Huxley nach wie vor zur Standard-Lektüre zählt und die deshalb für ausverkaufte Vorstellungen sorgen, bis auf weiteres mit der Theaterversion vorliebnehmen, gegen die Huxleys Erben offenbar nichts einzuwenden haben.

Um „Brave New World“ rankt sich hartnäckig ein Mißverständnis, zu dem Aldous Huxley selbst beigetragen hat. In seinem 1959 angefügten Vorwort beschreibt er seine Vision als Horrorszenario und legte damit einen Grundstein für die nach wie vor vorherrschende Rezeption des Buches in einem Atemzug mit Orwells „1984“. In früheren Essays hat Huxley die „Brave New World“ aber als geringstes von mehreren Übeln bezeichnet. Viele der dem Weltaufsichtsrat Mustafa Mond in den Mund gelegten Thesen entsprechen Huxleys damaligen Auffassungen.

Das britische Regie- und Dramaturgenteam Paul Stebbings und Phil Smith hat das offenbar verstanden und die Romanvorlage mit einfachen Mitteln und viel Gespür für ihre Aktualität in eine Bühnenfassung umgearbeitet. Die beiden drängen die Schreckenselemente in den Hintergrund und münzen „Brave New World“ mit kleinen Kunstgriffen zur Realsatire um.

Nach einem dröhnelauten Prolog mit über die Bühne huschenden Epsilons, Alphas und Weltstaats-Polizisten erscheint das fünfköpfige Ensemble als Quintett von Girlies und Boylies – beinahe wie von heute. In ihrem sportlichen Outfit unterscheiden sie sich von den markengeilen Kids im Jahr 91 nach Ford (genauer: nach dem Bau von Henry Fords erstem T-Modell) nur durch die immer präsenten Sprüche aus der Schlafschule. Mit viel Temperament und einem rotorähnlichen Dingsbums als Bühnenbild erspielen die fünf AkteurInnen eine Kompaktversion der Geschichte, die vom Fühlkino über die Brut- und Normzentrale bis hin zum Ausflug ins mexikanische Reservat keinen Schauplatz der Vorlage ausläßt.

Der Clou ist jedoch die nicht originelle, aber für dieses Stück maßgeschneiderte Idee, die Inszenierung als TV-Show zu verpacken. Mit dem bei Huxley noch nicht vorhandenen Kunstgriff auf das Fernsehen trägt „The International Theatre Company“ dazu bei, „Brave New World“ ganz nah an die Gegenwart zu rücken. Das Thema bei Sonja gestern mittag war: „Warum trennt ihr euch nicht einfach?“

Christoph Köster