Romantisches Nichts

■ Aufs Utopische zielen und nicht daran glauben können: Die junge britische Dramatikerin Sarah Kane hat sich das Leben genommen

In der Nacht zu Samstag starb die englische Dramatikerin Sarah Kane in einem Londoner Krankenhaus, wahrscheinlich an einer Überdosis Tabletten. Sarah Kane wurde 28 Jahre alt und hat vier Stücke geschrieben, von denen drei auch in Deutschland gezeigt werden: „Zerbombt“, „Phaidras Liebe“ und „Gesäubert“. Exzessive Stücke, deren Figuren sich nichts ersparen auf der Suche nach dem, was Kane die „Wahrheit“ nennt und was ihr in manchen Momenten wichtiger schien als das Leben selbst. Der Rowohlt-Lektor Nils Tabert, dem sie für ein Buch über die Londoner Theaterszene letztes Jahr ein langes Interview gab, sagte den Nachrichtenagenturen, Kanes Selbstmord „habe ihn nicht überrascht und dennoch schockiert“.

Das ist es. Es schockiert nicht, wenn junge Künstler öffentlich ihr Leben aufs Spiel setzen. Wenn sie Drogen nehmen, bis zum Umfallen trinken, über Krankheit oder Selbstmord sprechen. Wenn sie dann aber sterben, dann ist es schockierend. Weil nun nicht mehr nur das einzelne, fremde Leben betroffen ist, sondern auch das überall erhältliche Werk, das plötzlich als Chronik eines vorhersehbaren Todes erscheint. Es war – um bei Dramatikern zu bleiben – ein Schock bei Werner Schwab, bei Thomas Strittmatter, und bei Sarah Kane schockiert es genauso.

Mit ihren ersten drei Stücken wurde Sarah Kane als Hausautorin des Royal Court Theatre und an der Seite von Mark Ravenhill zur Wegbereiterin eines neuen, auch brutalen Realismus im britischen Drama, der in Deutschland vor allem in der Berliner Baracke begeistert aufgenomen wurde. Es geht um Krieg in den Hütten und auf der Straße. Menschen quälen, verstümmeln und fressen sich, Bomben fallen, dann wieder wird jemand vergewaltigt, vielleicht, und irgendwo hört man leises Weinen. „Ich glaube, daß Nihilismus die extremste Form von Romantik ist“, sagte die in der Kleinstadt Essex geborene Dramatikerin, die zuletzt von ihren Tantiemen leben konnte. Aber auch als sie mit dem Schreiben noch kein Geld verdiente, hatte sie nie gejobbt.

Sich nicht im Leben einrichten, keine Umwege, sondern aufs Ganze gehen, schnell leben, jung sterben: wer vor hat, länger zu leben, spricht hier oft von Mythos und auch von Hysterie. Erst wenn das Geschriebene vom Leben autorisiert wird, wollen es manche gewußt haben. Kanes erste drei Stücke seien ein „Schrei nach Hilfe“ gewesen, sagte jetzt Thorsten Maß, der Leiter des Berliner Theatertreffens, zu dem „Gesäubert“ in Peter Zadeks Inszenierung von den Hamburger Kammerspielen eingeladen ist. Als ob man nicht immer denken würde, Künstler würden sich durch die Kunst schon selber helfen.

Mit ihrem vierten Stück, „Crave“ (Verlangen), wechselte Sarah Kane formal in ein ganz anderes Genre. Vier Personen und ihre Sehnsüchte. Ein Sprachstück mit vielen verzweifelten Leerstellen, in denen auf der Bühne erlösend aber eine Handlung einsetzen könnte. Bisher allerdings durfte in Kanes Theater nicht allzuviel einsetzen, was sie selbst nicht für möglich gehalten hat. Bearbeitungen ärgerten sie, es gab ein Aufführungsverbot für die „Zerbombt“- Inszenierung des Berliner Regisseurs Sebastian Hartmann, obwohl sie die Arbeit gar nicht gesehen hatte. „Phaidras Liebe“ brachte sie in London selbst heraus, um auf der Bühne „genau die Bilder“ zu sehen, die sie „entworfen“ hatte. Sie wollte auch allein sein, mit sich. Petra Kohse

„Ich habe vor kurzem eine Frau kennengelernt, die zahllose Überdosen genommen hat und sich schon auf fast jede erdenkliche Art umbringen wollte. (...) Sie hat riesige Narben, aber absurderweise ist sie näher bei sich als die meisten anderen Menschen, die ich kenne. Ich glaube, in dem Moment, in dem sie sich die Pulsadern aufschneidet oder eine Überdosis nimmt, ist sie mit einem Mal an sich angeschlossen und will weiterleben. Also fährt sie ins Krankenhaus. Ihr Leben ist eine endlose Folge von Selbstmordversuchen, die sie dann widerruft. Und so furchtbar das ist, so sehr kann ich es nachvollziehen. Es ergibt einen Sinn für mich.“Sarah Kane

in einem Interview mit Nils Tabert