„Bäumchen, wechsel dich“ bei Italiens Parteien

■ Das regierende Olivenbaumbündnis zerbricht. Ein Grund sind die Europawahlen

Rom (taz) – Normalerweise stellen Politologen den Trend zur Auflösung bestehender Parteien dort fest, wo die Macht verlorengegangen oder nach langer Zeit nicht errungen worden ist. Italien macht es genau umgekehrt: Dort ist – in den letzten Tagen mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit – die Auflösung jener Gruppierungen zu beobachten, die die Macht innehaben. Letzter Stand: die vor einem Jahr gegründete, bei kleineren Wahlen bereits erfolgreiche Partei „Italien der Werte“ des ehemaligen Antikorruptions- Ermittlers Antonio di Pietro hat sich am Wochenende aufgelöst und ist in der neugegründeten Bewegung „Demokraten für das Olivenbaumbündnis“ des im Herbst aus dem Amt gehebelten Ex-Ministerpräsidenten Romano Prodi aufgegangen.

Nur wenige Stunden zuvor mußte die Demokratische Union des früheren Staatspräsidenten Francesco Cossiga – nachdem dieser selbst im Groll aus der Partei ausgetreten war – feststellen, daß ihre Abgeordneten und Mitglieder scharenweise zu anderen Parteien überwechseln. Bereits eine Woche zuvor hatte es die „Italienische Erneuerung“ von Außenminister Lamberto Dini erwischt: Ihm sind so viele Mitglieder abhanden gekommen, daß es derzeit nicht einmal mehr zum Fraktionsstatus im Parlament reicht.

Doch auch die große Führungspartei der Regierung, die Linksdemokraten, leckt ihre Wunden. Zuletzt, weil einer ihrer Regionalpräsidenten aus der Partei aus- und in die Formation von Prodi eingetreten ist. Das bei den Wahlen 1996 siegreiche Olivenbaumbündnis besteht mittlerweile nur noch im Parteinamen der Prodi-Gruppe fort, die dort vordem führenden Linksdemokraten nehmen es kaum mehr zur Kenntnis. Die Rechte wiederum hat derlei Spaltertendenzen hinter sich. Im Herbst hatten sich Teile des moderaten Zentrums in die damals neugegründete, alsbald in die Regierungskoalition eingetretene Demokratische Union Cossigas verabschiedet und damit den Linksdemokraten nach der Spaltung der Neokommunisten das Weiterregieren ermöglicht.

Vordergründig scheint es bei den „Bäumchen, wechsel dich“- Spielchen vor allem um die Weichenstellung für die Europawahlen im Juni zu gehen: Da hier das Verhältniswahlrecht gilt, rechnen sich auch kleinere Gruppen Chancen aus. Tatsächlich stehen hinter den Brüchen und Neugründungen aber auch persönliche Animositäten. So will etwa Prodi dem derzeitigen Ministerpräsidenten Massimo D'Alema heimzahlen, daß dieser im Herbst wenig für die Rettung der Mitte-links-Regierung Prodis getan und dann selbst dessen Sessel erklommen hat.

Gleichzeitig aber tobt auch ein erbitterter Kampf innerhalb der moderaten Parteien. Während die Demokratische Union – mit starker Unterstützung des Vatikans – gehofft hatte, die vor fünf Jahren entschlafene Democrazia cristiana neuzubilden und wie eh und je in der rechten Mitte anzusiedeln, will Prodi (selbst ein ehemaliger Christdemokrat) derlei Manöver verhindern. Dabei hofft er, seinerseits zum Kristallisationspunkt einer bürgerliche Mitte zu werden.

Streitpunkt aber ist auch ein Referendum am 18. April. Dort sollen die Italiener das bestehende Wahlrecht fürs eigene Parlament abschaffen, das noch immer ein Viertel der Sitze mit dem Verhältniswahlrecht bestimmt. Kommt die Volksbefragung durch, müßten künftig alle oder nahezu alle Volksvertreter durch Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, was den Zusammenschluß zu großen Formationen erzwingen würde. Dadurch, so erhoffen sich Befürworter, könnte in Italien ein Zweiparteiensystem entstehen, das dem Land endlich stabilere Regierungen als bisher verschafft. Gegen dieses Wahlrecht laufen die kleineren Parteien Sturm – rechts wie links. Und es ist noch nicht ausgemacht, ob die Bürger sich wirklich das bisher so geliebte Parlaments-Lotto nehmen lassen, wo die Politik im wesentlichen durch delikate Intrigen und unerwartete Stürze mächtiger Politiker jeden Tag neue Leckerbissen zum Geplauder an der Espresso-Theke bietet. Die Stürme in der Parteienlandschaft dürften sich daher in den nächsten Wochen kaum legen. Werner Raith