Analyse
: Der Flickschuster

■ Arbeitsminister Riester (SPD) will bei den 630-Mark-Jobs nachbessern

Löchrige Schuhe lassen sich auf zweierlei Art reparieren: Man setzt eine neue Sohle ein oder klebt einen groben Flicken drauf. Ähnlich kann man auch mit fehlerhaften Gesetzesvorhaben umgehen. Bei der Neuregelung der 630-Mark-Jobs hält Arbeitsminister Walter Riester (SPD) es wie die Flickschuster. Er wollte für die 630-Mark-Jobs künftig Renten- und Krankenkassenbeiträge abführen lassen, aber niemand sollte einen Anspruch aus diesen Kassen erwerben. Eine einfache Altersrente, so sein vormaliger Vorschlag, erwerbe nur, wer einen Eigenbetrag von 7,5 Prozent des Bruttolohnes in die Kasse zahlt. Der Entwurf brachte ihm böse Reaktionen von konkurrierende Politikern und freundschaftlich verbundenen Gewerkschaftern ein. Nun will Riester nachbessern.

Demnächst sollen die Billiglöhner wählen: Wer den vollen Rentenanspruch geltend machen will, also auch Rehabilitationsleistungen (etwa Kuren) und Invalidenrente, muß den Beitrag selbst aufstocken. Wem es genügt, daß nur der Arbeitgeber einzahlt, erwirbt nach fünf Jahren den einfachen Anspruch auf eine Altersrente. Wer zuvor noch nie in die Rentenversicherung eingezahlt hatte, geht am Ende seines Arbeitslebens mit sieben Mark Rente nach Hause – im Monat. Diese Nachbesserung ist im Ergebnis lächerlich, im Prinzip jedoch logisch. Aus verfassungsrechtlicher Sicht muß einem Beitrag in die Sozialkassen immer eine Leistung gegenüberstehen. Bei der Rentenfrage dürfte Riester seinen Kritikern den Wind aus den Segeln genommen haben.

Das gleiche Prinzip gilt natürlich auch für die Krankenversicherung. Künftig sollen die Arbeitgeber einen Pauschalbetrag von zehn Prozent entrichten. Da mehr als 90 Prozent der Billigjobber sowieso als Familienangehörige oder anderweitig gesetzlich krankenversichert sind und somit alle Leistungen der Versicherung erhalten, muß ihnen aus dem 630-Mark-Job kein eigener Anspruch zugebilligt werden. Für die wenigen, die allein über diese Beschäftigung in die Krankenversicherung aufgenommen werden, will das Bundesgesundheitsministerium eine Sonderregelung vorlegen. Damit sie keine Leistungen fordern, will man sie im vorhinein auszuschließen. Die Arbeitgber müssen für sie keine Krankenkassenpauschale abführen.

Riester hat ein paar Löcher geflickt. Benachteiligt bleiben Alleinerziehende, die zusätzlich zu einem regulären Job noch auf 630-Mark-Basis arbeiten. Sie sollen beide Einkommen versteuern – im Gegensatz zur hinzuverdienden Ehefrau. Riester denkt nicht daran, daß Gerechtigkeitsproblem zu entschärfen. Auch das generelle Problem bleibt: Es gibt zu viele Billigjobs. 1992 wurden 4,45 Millionen gezählt, 1997 bereits 5,6 Millionen. Annette Rogalla