Besserung des Überskins

Geschichtsstunde mit subkulturellem Helden: „American History X“ thematisiert skandalträchtig Jugend, Pop und Ästhetik der Gewalt. Doch bevor der Held noch richtig böse war, ist er schon wieder gut  ■ Von Brigitte Werneburg

Ein bißchen Berlinale mußte sein. Aus der Höhe der Hollywood Hills scheint „American History X“ schließlich wie für ein Festival gemacht. Die Rede ist vom ersten abendfüllenden Spielfilm eines ambitionierten britischen (Werbe-)Regisseurs mit einem jungen Star, der eine große Performance liefert. Und das in einer Rolle, die in einem heiklen Umfeld angesiedelt ist: der US-amerikanischen Neonazi- und Skinheadszene in Venice, Los Angeles. Also direkt vor Hollywoods Haustür, ein Politikum!

Nun ja. Inzwischen allerdings mehr, als den beteiligten Parteien lieb ist. Und so tauchten sie denn alle in Berlin auf. Um dabeizusein. Und um gerade nicht dabeizusein.

Der erste, der dies lautstark, mit Hilfe eines Megaphons, bekannt machte, war der Regisseur. Gleich zu Beginn der Festspiele postierte sich Tony Kaye protestierend vor dem Brandenburger Tor und erklärte, daß er sich von seinem Film distanziere. Obwohl der Hauptdarsteller Edward Norton die Endfassung geschnitten habe, müsse er, Kaye, mit seinem Namen verantwortlich zeichnen. Die Firma Kinowelt, der deutsche Verleiher des Films, behauptete derweil, weder von der geplanten Aktion zu wissen noch daß der Regisseur in Berlin sei.

Dann rückten Produzent John Morrissey, Drehbuchautor David McKenna und der Hauptdarsteller an. Zu einer einmaligen Aufführung von „American History X“ im Osten der Stadt, die kurzerhand „Europapremiere“ genannt wurde. An sie schloß eine Podiumsdiskussion an – unter dem pädagogensicheren Titel „Ist eine Begrenzung des Zulaufs zum Rechtsextremismus durch Jugendkultur möglich?“

Der wie üblich unkonzentriert- pastoral-milde Ulrich Wickert gab die Bühne frei für den Streit zwischen den Talkshow-Dauergastgebern und -Dauergästen Michael Friedman und Renan Demirkan. Um die Unterschriftenaktion der CDU/CSU zum Doppelpaß ging's. In Guben war ja zu dem Zeitpunkt noch nichts geschehen, Ausländerjagd als fester Bestandteil neudeutscher Jugendkultur – kein Thema.

Die Amerikaner lauschten der Debatte höflich, wenngleich befremdet. Für sie ist, wen wundert's, „American History X“ in erster Linie gar kein politischer Film. Vielmehr sehen wir hier, so Edward Norton, „die klassische Tragödie eines durchaus sympathischen, mit Charisma ausgestatteten Mannes“. Und so spielt Norton auch seinen Derek Vinyard – und spielt dabei „American History X“ in Grund und Boden; eigentlich aber nur auf das Niveau, auf dem der Film von vornherein angesiedelt ist.

Viel Halt gegen seine Sicht der Dinge gibt der Film jedenfalls nicht her. Der dumme, grausame, rassistische Mord, für den Derek ins Gefängnis geht, ist zwar nicht der Ausgangs-, wohl aber der Dreh- und Angelpunkt der amerikanischen Geschichtsstunde. Doch während Tony Kaye dessen Gewaltästhetik noch durchaus niederträchtig zelebriert, sorgt die Dramaturgie dafür, daß dies durch ein Übermaß an Pädagogik sofort wieder wettgemacht wird. Wir sitzen schon längst eifrig an unseren Hausaufgaben, wenn Kaye noch in ekelerregendem Realismus zeigt, wie Derek dem schwarzen Autodieb das Genick bricht.

Mit Danny (Edward Furlong), Dereks jüngerem Bruder, leisten wir Wiedergutmachung für eine positive Besprechung von Hitlers „Mein Kampf“. So schreibt Danny für seinen Geschichtslehrer einen Aufsatz über sein gerade aus dem Knast heimgekehrtes brüderliches Idol.

Weiße Pädagogik ermöglicht Bewährung, gewährt vom schwarzen Mann. Und wir wissen auch schon, daß Derek auf dessen Seite übergewechselt ist, während wir noch sehen, wie er mit seiner Freundin vögelt, um gleich darauf die dunklen Gestalten gnadenlos niederzumetzeln, die an seinem Auto zugange sind. (Was freilich schwarze Pädagogik vom weißen Mann ist, diese Supersymbolik von wegen Auto- ist gleich Frauenklau.)

Bevor der Held also noch böse war, da ward er auch schon wieder gut. Es ist eine schöne Bilderbuchdramaturgie, die pedantisch all die Faktoren abhakt, die für Dereks Sturz ins rechte Verderben verantwortlich sind. Doch leider macht sie die Geschichte – anders als Norton meint – nicht als tragische kenntlich, sondern als eine bornierte. Der amerikanische Held in der amerikanischen Geschichtsstunde, was wäre er ohne jene Chance, die er – nein, nicht nur bekommt –, die er sich selbst immer noch einmal gibt? Und sei der Grund, daß seine arischen Brüder ihn im Knast übelst in den Arsch ficken.

Das bringt den Mann zur Vernunft, den drei Schwarze, die sein Auto klauen wollten, durchdrehen ließen!

Visuell kollaborierte Tony Kaye, der auch die Kamera machte, mit diesem simplen Strickmuster. Allzu sinnfällig filmte er die böse Nazi-Skin-Vergangenheit seines Protagonisten in Schwarzweiß, während er die aktuelle Zeit der Erzählung, in der Derek seinen jüngeren Bruder zum Ausstieg bewegen will, in Farbe drehte. Wie seine Aktion am Brandenburger Tor belegt, hat Kaye einen Hang zur Überdeutlichkeit.

Für diesen Film eine schlechte Disposition; auch wenn sie für einzelne Momente zum Besseren gedeiht. Da kann er mit seinem Überskin, dessen Brust links, da wo das Herz schlägt, ein fettes Hakenkreuz ziert, ohne weiteres deutlich machen, worum es den faschistischen Jungmännerhorden geht: um die ästhetische Hegemonie, um martialische Schönheit. Um die Frage: Wer ist Gott gleicher?

Nach Pop ist Überlegenheit schließlich eine Frage des Rituals, der Codes, der sportlichen Haltung, des musikalischen Stils. Und daß die weißen Jungs aus der Arbeiterklasse Angst haben, die Schwarzen, die aus South Compton nach Venice zugezogen sind, wären ihnen hier weit überlegen, macht sich der alte Herr im Hintergrund zunutze; die Zündel-Figur und der Drahtzieher der amerikanischen Neonaziszene. Statt schwarzer Haut liefert er ihnen schwarze SS-Ästhetik. Die Indoktrination mit dem gewöhnlichen Rassismus hat schon längst der Vater beim Mittagstisch besorgt. Nur was hat es am Ende mit dem Mord an Danny durch einen schwarzen Schulkameraden auf sich? Dramaturgische Hilflosigkeit, noch einmal wirklich schicksalhafte Tragik aufzubieten? Lebenswirklichkeit statt Drehbuchkalkül? Wer mag das nach all dem Hin und Her um den coolen Über-Derek noch glauben?

Daß Kaye seinen Namen nicht zurückziehen darf, hängt übrigens mit einer Regelung der Directors Guild of America zusammen, die besagt, daß dies nur möglich ist, wenn der Regisseur den strittigen Film vorher nicht öffentlich kritisierte. Der Brite hatte sich aber schon frühzeitig an die Presse gewandt.

„American History X“. Regie: Tony Kaye. Mit Edward Norton, Edward Furlong u.a. USA 1998, 118 Min.