Angst, Blut und Bier

Jetzt in den Kinos: Terrence Malicks Antiheldenepos „Der schmale Grat“. Der Goldene Bär der Berlinale geht in Ordnung – aber ein echtes Meisterwerk?  ■ Von Thomas Klein

Krieg ist die Hölle. Kriegsfilme sind die Vorhölle. Terrence Malick, legendärer Regisseur von „Badlands“ und „Days Of Heaven“, hat sich nach 20jähriger Schaffenspause trotzdem am fragwürdigen Genre und Sujet des (Anti-)Kriegsfilms versucht. Wie „Der Soldat James Ryan“ erzählt auch Malick vom Zweiten Weltkrieg. Doch sein Film, dessen erste Produktionsphase noch weit vor Spielbergs Dreharbeiten begann, ist eine direkte Antithese zu dessen Heldenversion. Tatsächlich geht Malick jedem Pathos und Patriotismus, jeder Männerbündelei und den „realistischen“ Schlächtereien aus dem Weg. Statt dessen streicht oder verwässert er alle gängigen Kriegsfilmklischees – auch das vom „gerechten“ Weltkrieg zwo: Gerechter oder ungerechter Krieg, man stirbt in keinem gut.

Basierend auf James Jones' quasibiographischem Roman, folgt Malicks „Der schmale Grat“ einer Handvoll US-Soldaten, die 1942 auf der Pazifikinsel Guadalcanal abgesetzt werden, um die Japaner von der kriegswichtigen Position zu vertreiben. Die GIs sind Mitglieder einer „Bewährungseinheit“. Wenn ein Brigadegeneral (John Travolta) einem untergeordneten Offizier (Nick Nolte) mit gewichtigen Worten erklärt, man brauche „Leute wie ihn“, ist klar, daß man das dreckige Handwerk des Krieges gern an die niederen, reichlich entbehrlichen Ränge abgibt.

Wenig später fahren die Soldaten in ihren Landungsbooten zum Strand von Guadalcanal. In diesen Szenen, in denen sich ihre Nervosität und Angst auf den Zuschauer überträgt, beweist Malick, was ihn von Spielberg unterscheidet. Wo dieser ein möglichst realistisches Spezialeffekt-Gewitter entfesselte und die landenden Soldaten in den Fleischwolf warf, passiert bei „Der schmale Grat“ – nichts. Jedenfalls kein Feuerwerk, kein Artilleriebeschuß, keine zerfetzten Körper. Die Anspannung, das Zittern, Wimmern und Beten allerdings sind dieselben.

Als sich die Soldaten – vorbei an entgegenkommenden Verletzten – durch das malerische, matschige Inselgrün vorarbeiten und es am „Hügel 210“ zum Gefecht kommt, zeigt der Film seine vielleicht eindrucksvollste Sequenz.

Getarnt mähen die Japaner die vorrückenden Amerikaner nieder, die, getroffen, im schulterhohen Gras verschwinden. Hier funktioniert die Anonymität des Gegners. Anders als bei Oliver Stone, dem die Vietcong immer wieder zur gesichtslosen Untermenschenmasse geraten, sind die Japaner bei Malick nur ein weiterer Bestandteil der Kriegsmaschine, in die die Soldaten geworfen werden. Heldentum sucht man hier vergeblich, Mut gibt es höchstens in Gestalt eines Offiziers (Elias Koteas), der sich weigert, seine Leute weiter in das Gefecht und auf die Schlachtbank zu schicken.

Soweit funktioniert „Der schmale Grat“. Die inneren Monologe und kargen Gespräche der Soldaten zeigen, wie ein jeder mit seinen Erfahrungen im Krieg umgeht. Malick streut seine Sympathien gleichmäßig: auf den Berufssoldaten (Nolte), der noch etwas Schlachtruhm abgreifen will, bevor Krieg und Karriere enden, ebenso wie auf den Truppführer (John Savage), den der Verlust seiner Leute in den Wahnsinn treibt.

Dennoch steht sich der Regisseur selbst im Weg, weil er die Schlacht zu Ende führen will. Die halbverdursteten GIs stürmen letztlich die japanischen Stellungen und finden dort nur ebenso ausgezehrte Japaner vor – ein vielleicht kriegswichtiger, aber in jeder Hinsicht dehumanisierender Einsatz endet mit gewalttätigen Übergriffen auf Kriegsgefangene und Bier.

Doch Malick genügt es nicht, Krieg als ausgespielte Grausamkeit zwischen Menschen zu zeigen. Es geht ihm auch um eine ästhetische Auseinandersetzung. Wie können die Schönheit unberührter Natur und der Schrecken des Krieges, den die Zivilisation mit sich gebracht hat, nebeneinander existieren? fragt sich zum Beginn des Films ein junger Soldat (Jim Caviezel).

Die Fragestellung ist angemessen, aber Malick verrutschen später immer wieder Drehbuch und Kamera. Als genüge es nicht, kraftvolle Bilder zu zeigen (Soldaten, die im Bach blutige Tragbahren waschen), versetzt Malick seinen Film mit visuellen Mißtönen. Zwischenschnitte auf blutbespritzte oder durchlöcherte Blätter drohen dabei ganze Szenen zu ruinieren. Auch die Erinnerungen eines GIs (Ben Chaplin) an seine Frau wirken überzogen. Später wird sie sich per Brief von ihm trennen.

Wie „Der schmale Grat“ zugunsten von Vielschichtigkeit und Ambivalenzen auf Wertungen verzichtet, ist bemerkenswert: Die sieben Oscar-Nominierungen sind verdient. Und angesichts der Konkurrenz geht auch der Goldene Bär der diesjährigen Berlinale in Ordnung. Trotzdem will sich Malicks Film leider nicht zu dem Meisterwerk mit dem eigenwilligen, fast träumerischen Tonfall fügen, der immer wieder zu sehen und zu hören ist.

Gerade im letzten, eigentlich überflüssigen Filmdrittel gerät der Regisseur mächtig aus dem Gleichgewicht, um dem Publikum doch noch etwas Heldenmut und ein sauberes Finale zu bieten. Der letzte Blick der Kamera, vom Heck eines Schiffes auf die malerische Insel, drückt überdeutlich ein deplaziertes Sentiment aus – daß das nun der Ort war, „der uns verändert hat“. Möglicherweise erlag „Der schmale Grat“ letztlich doch dem Zwang, ein „Kriegsfilm“ zu sein, statt, wie in zahllosen, hervorragenden Momenten, ein Film über Menschen im Krieg.