Männer sind Hausschweine

■ Kabarettist Gregor Lawatsch berichtet im Packhaustheater von schrecklichen Mutationen

Es riecht nach Meerschwein. Oder nach mehr Schwein? Zumindest nach Mann. Und die sind, so wissen wir nicht erst seit dem Hit der Ärzte, bekanntlich alle Schweine. Daß diese Wesensverwandschaft aber so weit geht wie im Packhaustheater zu sehen, ahnten wir nicht. Denn Harry Marcus heißt der dort zu sehende erste Mensch, der nicht nur innerlich zum Schwein mutiert – gespielt vom Kabarettisten Gregor Lawatsch, der mit seinem Solo „Friß mich, bitte bitte friß mich“ zum Auftakt der Kabarettwochen im Packhaus gleich mehrere Abende zu sehen ist.

Lawatsch großes Thema ist der Mutationsprozeß vom Menschen zum Schwein. Grund für diese Veränderung, der Harry im Laufe des Stücks in immer extremerer Weise unterworfen ist: ein verändertes Gen. Gerade dem Schlachthof entflohen, landet Harry, der Ehefrau sei Dank, schon in einer Tierversuchsanstalt. Was blieb ihr übrig mit einem Mann, der grunzend vor seine Bürotür scheißt, boxend die Rangordnung in der Kantine festlegt und alle Mülltonnen der Nachbarschaft ausschleckt? Was die Frau entsetzt, finden andere spannend: Genetiker, gierig nach dem verrückten Gen, lungern wie Junkies – „Haste mal 'ne Zelle?“ – vor Harrys Tür herum. Harry hingegen plagt die große Sinnfrage. Warum mutiert er ausgerechnet in ein deutsches Zuchtschwein – ein Massentier, dessen Leben sich beschränkt auf den Dreischritt „fressen, verdauen, scheißen“? Brillant durchlebt Gregor Lawatsch die Mutation von Harry-Mensch in Harry-Schwein, verbindet dabei virtuos Witz und Entsetzen. Harry-Schwein grunzt, schlabbert und läuft gebückt, schweinsäugelt in die Runde, die Hände angewinkelt und zu Klauen gespitzt. Lawatsch begeistert durch Mimik, Gestik und saumäßige Geräusche, die erstaunlich echt klingen.

Die ursprüngliche Gestalt des Menschen Harry, aufrecht und nachdenklich, verschwindet im Laufe des Stücks immer mehr. Nur die Denkstruktur ist noch menschlich. Doch die Ereignisse der Zukunft werfen ihre Schatten voraus: Wortwahl und Ausdrucksweise sind bereits säuisch, passend zur Thematik eben. Kein Vergnügen für Nichtmutanten, die mit Bibelverspottungen („Wir sind alle Urenkel des Wichsers Adam“) und ordinären Ausdrücken (“Meine glücklichste Zeit im Patriarchat war als Samen in der Nebenhode, aber die Eizelle ist für die Spermie ein Machtfaktor“) nichts am Hut haben.

Schlachthöfe, Massentierhaltung und Gentechnologie – all das zerphilosophiert Harry gekonnt. Teilweise sogar so grotesk, daß des Zuschauers Gehirn, zentrifugiert wie die Samen des Zuchtebers in der Tierversuchsanstalt, zuweilen Schwierigkeiten hat, dem Stück zu folgen. Trotzdem wird sauklar, daß die „Verschweinung des normalen Bundesbürgers“ zwangsläufig die Folge der modernen Gesellschaftsentwicklung ist. Sagt jedenfalls der gute Harry, und der ist schließlich der Forschung um Jahre voraus. Ersaufen wird die Menschheit in „Gülle in Hülle und Fülle“. Saumäßige Aussichten.

Nur ein einziges Mal bäumt sich Harry nach der Pause noch auf, ehe er, vollends Schwein, wie alle Artgenossen auf der Schlachtbank landet. Tief deprimiert ruft er seine Frau an und fleht: „Bitte, friß wenigstens du mich“. Doch die ißt kein Fleisch mehr – es erinnert sie halt zu sehr an Harry. Der stülpt sich daraufhin die Schweinsmaske über und läßt sich im Heuhaufen nieder, die versaute Welt in Form einer großen blauen Papierkugel liebevoll im Arm. Louis Armstrong singt “What a wonderful world“ und die (Noch-)Menschen im Publikum freuen sich auf ein Wiedersehen mit Harry – als saugutes Schnitzel. kag

Heute und morgen jeweils um 20 Uhr im Packhaustheater