Was für ein undemokratischer Tanz

■ Ein Film über Träume und über die Angst vor dem Tod: „Schwedischer Tango“ zeigt ein altes Paar, das einmal noch tanzen will (Arte, 22.10 Uhr)

Man müßte mal wieder zu Ikea fahren. Der depressiv stimmende Lichtmangel in Schweden führt therapeutisch zu aufmunternden Wortschöpfungen, zu Schränken, die „Rolf“ heißen („Komm, laß uns Rolf verrücken!“), und Drehstühlen namens „Lalle“. „Gamla dans“ heißt auf schwedisch Tanz für Senioren. Kerstin und Hans sind Mitte siebzig und leben in Kiruna, wo einen im Januar nicht einmal eine Daunenjacke warm hält, so kalt ist es. Im reifen Alter entdecken Kerstin und Hans ihre Liebe zum Tango. „Rün-trün-trün, rün-trün-trün“, skandiert der schwedische Tango-Lehrer.

In dem Dokumentarfilm „Schwedischer Tango“, den der polnische Regisseur Jerzy Sladkowski für Arte gedreht hat, beleidigt kein Kommentar die Symbiose der beiden alten Leute. Alt sein ist gefährlich für Alte und Junge: Man gelangt leicht an den Punkt, wo man so weit fort ist, daß einen nichts mehr etwas angeht.

Kerstin und Hans sind seit fünfzig Jahren ein Paar, und ihr Tango- Kurs bewirkt nebenbei eine erotische Bilanz ihrer Ehe. Unaufhörlich grantelt Hans herum; immer hat er was zu meckern – wie hält Kerstin das nur aus? Er vermiest ihr das Autofahren („Zu schnell!“) und wütet, wenn sie nicht pünktlich zum Essen nach Hause kommt.

Kerstin fährt dennoch Auto. Kerstin ist hartnäckig. „Tango!“ wettert Hans. „Was für ein undemokratischer Tanz! Die Frauen müssen nur folgen!“ Ein feines Lächeln umspielt Kerstins schönen Mund.

„Schwedischer Tango“ ist ein Film über Träume und auch ein Film über die Angst vor dem Tod – Hans ist von ihr besessen. „Komm pünktlich“, schimpft er einmal, „wir wissen doch nicht, wieviel Zeit wir noch haben!“ Einmal schneidet Hans seiner Frau die grauen Haare. Dann zieht er seine Kerstin tapsig ins Schlafzimmer. Wie sollte er zurechtkommen, falls sie vor ihm stirbt.

Wann immer Jerzy Sladkowski Zank und Zärtlichkeit dieses alten Paares bezeugt, sammelt er keine Beweise für oder gegen etwas. „Schwedischer Tango“ zeigt eine fragile Balance. Die ganzen 91 Minuten über hat man Angst, Hans könne sterben, bevor der Traum vom Tangotanzen wahr geworden und dieser Film zu Ende ist. Doch langsam machen sich die beiden Alten auf in Richtung Unmöglichkeit, erst nach Stockholm, wo Tangokurse speziell für alte Menschen angeboten werden, und dann – ein tiefes Luftholen – nach Buenos Aires. Miesepetrig quetscht Hans sich in seine schwarze Weste. Mit eingezogenem Bauch kann er höchstens einen Knopf schließen. Er grinst wie ein Nußknacker. Da sitzt der 75jährige Hans in einem Friseurgeschäft in Buenos Aires, und läßt sich von einem 80jährigen rasieren, während Kerstin im Hintergrund mit einem weiteren alten Mann über das Parkett schiebt.

Weder mit dem Tod noch mit der Melancholie des Tangos läßt sich spaßen. Es bricht einem schier das Herz. Mögen sie alle noch lange tanzen. Anke Westphal