Schüsse bleiben im diplomatischen Nebel

Warum wurden die KurdInnen im israelischen Konsulat getötet? Berlins Innensenator versuchte sich in einer Erklärung. Polizeizeugen widersprechen der israelischen Version. Berlin soll frühzeitig gewarnt worden sein  ■ Von Barbara Junge

Drei tote KurdInnen – erschossen von israelischen Sicherheitsbeamten bei der versuchten Besetzung des israelischen Generalkonsulats am vorigen Mittwoch. Hinzu kommen 13 weitere verletzte KurdInnen, eine überrannte Polizei und eine umfassende Informationssperre in Berlin. Zunächst hieß es, die israelischen Beamten hätten ausschließlich in Notwehr innerhalb des Gebäudes geschossen. Diese Version scheint sich nicht länger halten zu lassen.

Mindestens zwei Versionen der Ereignisse stehen sich gegenüber: Eine ausgegeben von der israelischen Botschaft in Bonn, eine andere, entgegengesetzte, aus Kreisen der Berliner Polizei.

Seit vorgestern liegt die offizielle israelische Darstellung vor. In dem Bericht heißt es, die Beamten hätten alles getan, um nicht schießen zu müssen. Die abgegebenen Schüsse seien überwiegend Warnschüsse oder Schüsse auf die Beine der AngreiferInnen gewesen. Aus zwei Pistolen sei insgesamt 17mal gefeuert worden, ein Schuß davon als Warnschuß in die Luft aus dem Gebäude heraus. Die Eindringenden hätten eine Tür des Konsulats aufgebrochen – Spekulationen, Konsulatsbeamte selbst hätten sie geöffnet, seien „ebenso absurd wie falsch“.

Informationen der taz aus Berliner Polizeikreisen lauten anders. Die israelischen Sicherheitskräfte hätten eine Tür des Konsulats von innen selbst geöffnet als die KurdInnen ankamen. Polizisten wollen 30 Schüsse gezählt haben. Sie hätten sowohl KurdInnen als auch die Polizeibeamten vor dem Konsulat gefährdet. Polizeibeamte hätten sich auf den Boden geworfen, um den Schüssen zu entgehen. Patronenhülsen seien auch im Garten der Botschaft gefunden worden. Nach einem Polizeiprotokoll, aus dem der Berliner Tagesspiegel zitiert, sollen keine Warnschüsse abgegeben worden sein. Die verwendete Munition sei ein spezielles „9 Milimeter para“ Kaliber gewesen. Es wurde einst für den Militäreinsatz entwickelt und ist geeignet, sowohl einen Menschen per „Durchschuß“ zu töten, als auch eine dahinter stehende Person noch tödlich zu treffen.

Gestern stellte Justizsenator Erhart Körting (SPD) im Berliner Abgeordnetenhaus den Stand der Ermittlungen dar. Er vermochte nicht, die Widersprüche aufzulösen. Nach Tagen der Informationssperre der Berliner Ermittlungsbehörden und der äußerst vagen Teilinformationen durch die Innenverwaltung stellte Körting sich den Fragen der Berliner Abgeordneten. Die Geschehnisse seien allerdings „von einer bisher so nicht gekannten Komplexität“, die Aufklärung dementsprechend schwierig. Eine Beschreibung könne er deshalb nicht liefern, jedoch den Stand der Ermittlungen: Die beiden verwendeten Schußwaffen würden derzeit untersucht, wieviel Schüsse daraus abgefeuert wurden, sei noch nicht geklärt. Die überwiegende Anzahl der Schüsse sei im Gebäude abgegeben worden, insgesamt habe man 17 Patronenhülsen und 15 Geschosse oder Geschoßteile gefunden. Noch könne nicht abschließend bewertet werden, ob auch außerhalb des Gebäudes geschossen worden sei. Er könne aber bestätigen, daß dort Patronenhülsen gefunden wurden. Dies bestätigten auch Aussagen von Polizisten. In einem Zeitungsinterview allerdings hatte Körting gestern angemerkt, daß „mindestens“ zwei Schußwaffen benutzt worden seien.

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt parallel zu den israelischen Behörden. Die Berliner Behörden haben die israelischen Wachleute vernehmen können.

Ein kurdischer Besetzer schwebt noch in Lebensgefahr. Von 13 Verletzten, so der Justizsenator, liegen noch neun in Krankenhäusern. Von den insgesamt 74 Verhafteten sei gegen 32 Haftbefehl erlassen worden, 17 davon gegen Auflagen außer Kraft gesetzt.

Während der Abgeordnetenhausdebatte wurde heftig über die Verschärfung von Ausländer- und Polizeigesetzen gestritten. Die CDU rief nach einer schnelleren Abschiebung von Gewalttätern, ihr Koalitionspartner SPD mahnte zur Besonnenheit. Ihr Innenpolitiker Hans-Georg Lorenz sagte mit Blick auf Otto Schily: „Ich warne den einen oder anderen Herrn in Bonn, der auch noch meiner Partei angehört, vor Schnellschüssen.“ Wer schnellere Abschiebungen fordere, verlasse „den zivilisierten rechtlichen Weg“.

Recherchen der ARD unterstützten gestern den Vorwurf, das Gebäude sei unzureichend bewacht worden. Danach habe das Bundeskriminalamt bereits einen Tag vor der versuchten Besetzung schriftlich vor Aktionen gegen israelische Einrichtungen gewarnt. Innensenator Werthebach (CDU) wehrte ab: „Wenn man mich gewarnt hätte, über Berlin stürzt in der Nacht ein Flugzeug ab, wäre das genauso hilfreich gewesen“.