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Multifunktionaler als Ikea

Künstlerverbund, Musikverlag, Label, Idee: „Stora“, der exilierte Schulterschluß für elektronische Klangverarbeitung  ■ Von Holger In't Feld

Gib dem Anfang einen Namen. Stora ist schwedisch für „Die Großen“ und klingt wie die neue Kieferngarnitur von Ikea – ist aber weitaus kulturschaffender und multifunktionaler. Und sogar multikultureller. Stora ist: ein Musikverlag, ein Künstlerverbund, ein Label, eine Idee. Skandinavien oder „der Norden“ drängt sich nicht nur durch den Namen auf: Hammafest, das Grönland Orchester, Helgoland und natürlich Idee des Nordens verbreiten schon im Wortklang eine Pop-ferne Schwere.

Doch: falsche Fährte. Der Wunsch nach Pop-Momenten ist den klingenden Materialien eindeutig eingeschrieben, die geographische Bezugnahme eine unabgesprochene Geistesverwandtschaft. Wie fast alles, was sich aufmacht, nach eigenen Strukturen zu suchen, starteten auch die Menschen von Stora ohne vordefinierten Masterplan, dementsprechend disparat und individuell formulieren sie ihre Strategien, zumindest in bezug auf die Wortwahl. Idee des Nordens zum Beispiel ist mitnichten die Odin'sche Erleuchtung angesichts eines Nordlichts, sondern der eingedeutschte Titel einer Radiosendung von Glenn Gould, alle anderen Bands haben ähnlich querbezügliche Namens-Anbindungen.

Blut- und Boden-Mystik ist im Stora-Umfeld nur insofern präsent, als ihr selbstgewähltes Exil, ein 1680 gebauter Bauernhof in der Nähe von Glückstadt, Geschichte atmet. Hier leben und arbeiten Gavin Schalkalwis, Fredrik Nedelmann, Thomas Jebens und Hermann von Zehbe abseits urban-szenigem Schulterklopfen an ihren Projekten – mit dem schanzenviertelbeheimateten Florian Sultanow als städtischem Außenposten. Die fünf, allesamt aus dem halbelektronischen Frühneunziger-Projekt La Joie De Vivre hervorgegangen, bilden, in unterschiedlichen Konstellationen, vier Bands. Dazu gesellen sich aus Hamburger Avant-Kreisen eine Handvoll weitere, für die der Stora-Gedanke zum Teil nur einen selbstorganisierten Schulterschluß bedeutet, musikalisch umschlossen durch einen organischen und spielerischen Umgang mit den Möglichkeiten elektronischer Klangerzeugung, ein Koordinatensystem, das die Residents, Aphex Twin und Prokovjev als Bezugspunkte hat.

Um nicht allzu spezifisch zu werden. Darum genau allerdings geht es: klare Formen, Tonalität, Transparenz. Mit fast erzieherischer Strenge oszilliert dieser Pop zwischen moderner Klassik und Kindermusik – letzteres in bezug auf den kauzig-jenseitigen Charme, der dem tschechischer Animationsfilme ähnelt. Der Osten ist neben dem Norden tatsächlich auch in konkreten Projekten präsent, es gibt einen Link nach Rußland, über Florians russische Angetraute hergestellt, von wo eine Gruppe St. Petersburger Kulturschaffender an die Bewegung andockt. Eine Quelle, aus der seitdem unentwegt reizende theatralische Samplingspielereien fließen. All dies findet sich gebündelt auf dem Sampler Storage mit 21 Stücken für eine bessere Klang-Welt. „Storage ist der Raum, den die Spannungsbeziehungen der Stücke untereinander herstellen“, heißt es dazu im eigenen Text. Stora thematisiert die Lücke.

Zurück auf dem Land, wo Stora unter dem gleichen Namen auch Aufnahmeräume und ein Studio betreiben, freut das den Postboten, der die Briefe an das „SM“-Studio jeden Tag mit verschwörerischer Betonung überreicht. Der Einwand, es handele sich um das Secret-Moment-Studio, macht die Lage keinesfalls besser.

„Stora Secret Evening“ mit den Bands Tulip, Halberstadt, Helgoland und Kisskissbangbang: heute, 21 Uhr, Fundbureau, Stresemannstraße 114

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