Unmenschliche Grausamkeit bis zum Völkermord

■ Die guatemaltekische Wahrheitskommission hat ihren Abschlußbericht übergeben

Guatemala-Stadt (taz) – Selten sind einem lateinamerikanischen Staat so die Leviten gelesen worden. Die Übergabe des 3.500 Seiten starken Berichts der guatemaltekischen Wahrheitskommission am Donnerstag im Nationaltheater von Guatemala-Stadt war ein starker Moment. Der Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat, Leiter der „Kommission zur historischen Aufklärung“, ließ kalte Zahlen sprechen und zog daraus harte Schlüsse. Bis hin zum Vorwurf des Völkermords, den Staat und Armee Anfang der achtziger Jahre in manchen Gegenden des Landes begangen haben.

Die Einrichtung einer Wahrheitskommission war im Rahmen des Friedensabkommens zwischen Guerilla und Regierung vereinbart worden. Im Dezember 1996 hatte dieses Abkommen den längsten Bürgerkrieg Lateinamerikas beendet. In achtzehn Monaten hat die Kommission Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit zwischen 1962 und 1996 untersucht. Sie hat die Geschichte von 42.000 Opfern erforscht. 29.000 von ihnen wurden ermordet oder sind verschwunden. Die Gesamtzahl der Opfer des Bürgerkriegs war erheblich größer. Tomuschat ging von „mehr als 200.000 Ermordeten und Verschwundenen“ aus.

93 Prozent der untersuchten Menschenrechtsverletzungen gehen zu Lasten des Staates: der Armee, der Todesschwadrone, der sogenannten „Zivilen Selbstverteidigungsgruppen“. 3 Prozent werden der Guerilla der URNG angelastet, in 4 Prozent der Fälle konnte die Kommission keinen eindeutigen Verantwortlichen festmachen. Ähnlich deutlich sind die Zahlen für die untersuchten Massaker an der Zivilbevölkerung: 626 wurden von der Armee begangen, 32 von der Guerilla.

Tomuschat ersparte den etwa 5.000 bei der Übergabe anwesenden Gästen die Schilderung von Grausamkeiten. Im Bericht kommen sie vor. So wurden schwangere Maya-Frauen systematisch vergewaltigt. Danach schnitt man ihnen die Brüste ab, die Leibesfrucht aus dem Bauch und ermordete beide. Diese „unmenschliche Irrationalität“, so Tomuschat, lasse sich nicht allein mit einem Konflikt zwischen einer Armee und Aufständischen erklären. Sie habe ihre Wurzeln in der Kultur des Landes, in der die indianische Bevölkerungsmehrheit seit Jahrhunderten an den Rand gedrängt worden sei.

Dies sei der eigentliche Grund des Krieges, und dies erkläre auch die „rassistischen Züge“ im Vorgehen der Armee: 83 Prozent der im Bericht aufgeführten Opfer sind Mayas. Anfang der achtziger Jahre, als Militärdiktator Efrain Rios Montt Hunderte indianische Dörfer zerstören ließ, könne man von einem Völkermord sprechen.

Überraschend deutlich wurde Tomuschat auch gegenüber den Vereinigten Staaten. Einzelne Unternehmen und die Regierung der USA hätten „Druck ausgeübt, um die archaische und ungerechte Struktur des Landes aufrechtzuerhalten“. Nachweislich sei „der Geheimdienst CIA direkt und indirekt an illegalen Operationen beteiligt“ gewesen. Andererseits habe die URNG Unterstützung aus Kuba erhalten.

Das mochte der Botschafter der Vereinigten Staaten in Guatemala, Donald Planty, nicht auf sich sitzen lassen. Es sei „eine falsche Interpretation der Ereignisse“. Heute komme es auf die nationale Versöhnung an – aber eben „des Landes, das den bewaffneten Konflikt durchlebt hat“. Die USA hätten mehr wirtschaftliche Hilfe als jedes andere Land geleistet, um zur Befriedung Guatemalas beizutragen.

Die letzten 80 Seiten des Berichts bestehen aus Empfehlungen. Unter anderem wird darin ein „Nationales Wiedergutmachungsprogramm“ gefordert, das die „Würdigung der Opfer“ einbeziehen soll. Bislang hat die Regierung dafür lediglich gut zwei Millionen Mark in den Haushalt eingestellt. Mit einer „aktiven Exhumierungspolitik“ müsse nach den Hunderten von noch unentdeckten Massengräbern gesucht werden, um das Schicksal der Verschwundenen aufzuklären. Aus dem Offizierstab der Armee, speziell aus dem des militärischen Geheimdienstes, müßten Menschenrechtsverletzer entlassen werden. Die Präsidentengarde soll ganz aufgelöst werden.

Ob die Anregungen der Kommission gehört werden, ist fraglich. Präsident Alvaro Arzú wohnte der Zeremonie zwar bei, allerdings nur als Zuschauer in der ersten Reihe. Raquel Zelaya, als Leiterin des Friedenssekretariats der Regierung eine eher zweitrangige Funktionärin, mußte für ihn auf die Bühne, um den Bericht entgegenzunehmen. Toni Keppeler

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