„Schindluder“ im Fall Kornberger

■ Uni-Richtlinien „nicht rechtsstaatlich“ / Interview mit Dozentin

Sexuelle Diskriminierung wurde dem Spanisch-Dozenten Reiner Kornberger an der Universität vorgeworfen. Vier Studentinnen hatten sich über sein angeblich sexistisches Unterrichtsmaterial beschwert. Die Arbeitsstelle gegen sexuelle Diskriminierung am Ausbildungs- und Erwerbsarbeitsplatz (ADE) schaltete sich ein. An der Universität gibt es eine Richtlinie gegen sexuelle Diskriminierung. Mit der Richtlinie sei „Schindluder“ getrieben worden, meint Dr. Helga Bories-Sawala. Die akademische Rätin und Dozentin für französische Sozialgeschichte sitzt im Fachbereichsrat und hat die Richtlinie überarbeitet.

taz: War der „Fall Kornberger“ tatsächlich der Anlaß, die Richtlinie zu reformieren?

Helga Bories-Sawala: Ja. Kornbergers Abordnung an die Uni sollte wegen der anonymen Beschwerden nicht verlängert werden. Das rief den Fachbereichsrat auf den Plan. In diesem Zusammenhang habe ich die Richtlinie zum ersten Mal gesehen.

Welchen Eindruck hatten Sie?

Ich war sehr angetan, daß es eine solche Richtlinie und eine Stelle gibt, an die man sich wenden kann. Aber ich war erschrocken, wie unpräzise, mißverständlich, unprofessionell, um nicht zu sagen, wie schlampig der Text ist. Der Fall zeigt ja auch, wie leicht es möglich ist, Schindluder zu treiben.

Inwiefern?

Nun, eine solche Richtlinie soll es Opfern sexueller Diskriminierung leichter machen, sich zur Wehr zu setzen, ohne sich vor Repressalien fürchten zu müssen. Im konkreten Fall sieht aber alles danach aus, daß hier ein Dozent in Mißkredit gebracht werden sollte. Die Richtlinie, so wie sie jetzt ist, bietet dem Opfer einer solchen Beschuldigung keine faire Möglichkeit der Verteidigung.

Aber die Richtlinie ist von vielen Gremien abgestimmt worden.

Sicher. Aber ich bin erschrocken, wie wenig sorgfältig hier gearbeitet worden ist. Die gute Absicht, Schutz vor sexueller Diskriminierung bieten zu wollen, ist löblich, reicht aber nicht. Man braucht einen Text, der klar und unmißverständlich ist, der für Männer und Frauen gelten muß.

In welchen Punkten ist die Richtlinie unklar?

Es ist nicht klar, was sexuelle Diskriminierung ist. Der Text eiert zwischen einer Beurteilung nach „allgemeinen“ Maßstäben und dem ganz subjektiven Empfinden einer Person. Wenn man den Text böswillig auslegt, kann es so kommen, daß jemand durch eine unüberprüfbare Denunziation einen anderen um den Job bringen kann, nur weil er sich in seinem ganz subjektiven Empfinden angegriffen gefühlt hat. Wer diese Beschwerde führt, darf anonym bleiben, während es für den Beschuldigten dienstrechtliche Konsequenzen haben kann, bis hin zum Ausscheiden aus der Uni. Ich bin keine Juristin, ich kann mir aber nicht vorstellen, daß das rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht. Und es darf auch keine Zensur durch die Richtlinie geben. Wenn dann noch subjektives Empfinden der Maßstab sein soll, können wir den Laden dichtmachen. Ich verwende unter anderem antisemitische Texte. Keiner hat mir bisher vorgeworfen, ich betriebe rassistische Lehre. Und die Texte Kornbergers, wenn es die sind, die angeführt werden, sind klösterlich im Vergleich zu Seminarankündigungen wie „Erotik und Tabu“, „Zur Struktur des Begehrens“.

Ihre Änderungsvorschläge?

Erstmal muß eine präzise Definition der sexuellen Diskriminierung her. Mein Vorschlag: „Sexistische Bemerkungen über anwesende oder abwesende Personen oder Personengruppen sowie sexistische Gesten oder Verhaltensweisen gegen Individuen, insbesondere über deren Körperlichkeit, sexuelle Orientierung oder Imtimleben.“ Es darf keine Zensur von Lehr- und Forschungsgegenständen stattfinden. Außerdem muß klar sein, daß eine anonyme Beschwerde nicht zu dienstrechtlichen Konsequenzen führen kann. Wer jemanden beschuldigt, muß spätestens dann dazu stehen, wenn das für den Betroffenen Folgen hat. Bevor es dazu kommt, muß diejenige oder derjenige sich wehren können.

Wie schätzen Sie die Chancen für eine Änderung ein?

Im Fachbereichsrat herrschte völliger Konsens über die Vorschläge – die ADE eingeschlossen. Jetzt entscheidet der Akademische Senat. Ich hoffe sehr, daß wir jetzt eine Richtlinie bekommen, die tatsächlich Schutz bietet. Es bleibt aber noch immer ein übler Nachgeschmack im Fall Kornberger. Es ist höchste Zeit, daß die Wahrheit auf den Tisch kommt. Gegebenenfalls muß der Kollege ausdrücklich rehabilitiert werden. Das wäre wohl das Mindeste.

Fragen: Kerstin Schneider