■ Nebensachen aus Teheran
: Auf den Schlips getreten

Seinen wahren Namen kennt kaum jemand, wohl aber seinen nom de guerre: „Der Mann mit der Krawatte“.

Bürgerlich heißt er Sadek Samiei, und von Beruf ist er Verleger. Vermutlich wäre sein Gesicht unter denen seiner 4.000 Mitbewerber im Teheraner Kommunalwahlkampf untergegangen – wäre da eben nicht die Krawatte. Der in Großbritannien ausgebildete Samiei strahlte den WählerInnen von seinen Plakaten glattrasiert in einem schwarzen Anzug und mit einer schwarzen Krawatte entgegen. Und das bedeutet in der Islamischen Republik eine ganz kleine Revolution.

Nach der großen iranischen Revolution unter Ayatollah Chomeini im Jahre 1979 galt das Kleidungsstück als Inbegriff westlicher Dekadenz. Wer es öffentlich trug, mußte damit rechnen, es von Revolutionswächtern vom Hals gerissen zu bekommen. Auch heute noch schickt es sich für den iranischen Mann, auch zu feierlichen Anlässen, das Hemd oben offen zu tragen. Da aber auch schiitische Muslime gelegentlich schick sein wollen, entstand eine eigene iranische Mode: der Mullahkragen. Ein steif gebügelter und bis obenhin geschlossener Stehkragen, der auch zum dreiteiligen Anzug paßt.

Nun sind längst nicht alle IranerInnen mit den Regeln der Islamischen Republik einverstanden. Es drängt sie nach dem kleinen Protest, der unauffällig auffälligen Distanzierung. Wie in anderen Kulturen auch, bietet sich dafür die äußere Erscheinung an.

Frauen haben es da in Iran einfach. Dank der äußerst rigiden Bekleidungsvorschriften für das weibliche Geschlecht ist es ein Leichtes, die Norm zu durchbrechen: ein wenig Make-up auftragen, ein bißchen mehr Haare zeigen, als es erlaubt ist, den Mantel ein paar Zentimeter kürzer tragen. Doch was sollen die Männer machen? Dürfen sie sich im Iran doch eigentlich ganz normal kleiden. Weil die hiesige Kultur für Piercing, Branding und Tatoos noch nicht bereit ist, mußte ein akzeptableres Protestmittel gefunden werden: Der Schlips.

Und die Kampagne zeigt Wirkung. Plötzlich tauchen überall Krawattenträger auf. Der Oberkellner im Restaurant meines Hotels trägt sie wie selbstverständlich. Der Bekannte eines Kollegen erschien Ende letzter Woche mit einem hellblauen Binder. Darauf angesprochen erklärte er, das sei Zufall. Er sei morgens aufgestanden und habe einfach Lust verspürt, sich den Stoffstreifen umzubinden. Das sind die ersten Anzeichen einer Epidemie.

Plötzlich werden überall Schlipsträger vermutet – geheime. „Warum hält der auf dem Wahlplakat seine Hand so komisch unter dem Hals?“ fragte eine Bekannte. „Was hat der darunter versteckt?“ Dieses Spiel kann man so endlos weiter betreiben: Warum endet das eine Konterfei direkt unter dem Kinn? Und warum hat sich Kandidat XY so merkwürdig hinter einem Mikrofon verbarrikadiert? Den im Nahen Osten so beliebten Verschwörungstheorien ist damit Tür und Tor geöffnet. Eine Geheimverbindung? Die Invasion der Krawattenträger?

Als Protestmittel hat der Schlips übrigens einen ungemeinen Vorteil. Will man konservativen Iranern nicht auf den selbigen treten, nimmt man ihn einfach ab und läßt ihn schnell in der Tasche verschwinden. Das ist so wie eine Tätowierung zum Aufrubbeln oder ein Ohrring mit Clip.

Ich komme gerade aus dem Hotelrestaurant mit dem beschlipsten Kellner und mache mir so meine Gedanken. Aus dem Spiegel schaut mich ein unrasiertes Wesen mit offenem Kragen an – das Teheraner Establishment.

Thomas Dreger