Türkei läßt Schauspieler frei

■ Auch der zweite Berlinale-Preisträger und 95 weitere Verhaftete sind wieder auf freiem Fuß. Europäischer Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg eröffnet Verfahren gegen Ankara

Berlin/Istanbul (taz/rtr/dpa/ AFP) – Seit gestern ist auch der zweite türkische Schauspieler und Berlinale-Preisträger, der mit seinem Kollegen letzten Mittwoch in Istanbul festgenommen wurde, wieder frei. Die türkischen Behörden haben darüber hinaus auch alle anderen 95 Personen freigelassen, die bei einer Razzia auf das Mesopotomische Kulturzentrum in Istanbul und ein angeschlossenes Café verhaftet wurden. Dies bestätigte das Auswärtige Amt in Bonn gestern auf Anfrage gegenüber Stefan Noé vom Friedensfilmpreis-Büro der Internationalen Filmfestspiele in Berlin.

Die Schauspieler Newroz Sahin und Nazmi Kirik hatten in dem offiziellen Wettbewerbsbeitrag der Berlinale, „Reise zur Sonne“ der türkischen Regisseurin Yesim Ustaoglu, mitgewirkt. Der Film schildert die Freundschaft eines Türken mit einem Kurden, der bei einer Polizeiaktion gegen Demonstranten ums Leben kommt. Seit der Festnahme des Chefs der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, gibt es in der Türkei ständig Razzien gegen Kurden, die der Unterstützung der PKK verdächtigt werden, und kurdische Einrichtungen.

Im Zusammenhang mit der Festnahme Öcalans hat es in Istanbul erneut mehrere Anschläge gegeben. In der Nacht zum Montag wurden 17 Menschen in einem Kaffeehaus durch einen Handgranatenanschlag verletzt. Einem Polizeisprecher zufolge seien die Täter, die unerkannt entkamen, eindeutig Anhänger Öcalans gewesen. Die Nachrichtenagentur Anatolien meldete, im Viertel Umraniye seien drei Busse im Depot durch Brandsätze beschädigt worden. Demonstranten hätten im Viertel Kagithane einen Bus in Brand gesetzt. Dort sei auch ein Brandanschlag auf eine Düngemittelfabrik verübt worden.

Inzwischen lud die Türkei norwegische Parlamentarier zum Prozeß gegen den PKK-Chef ein, der seit seiner Verschleppung aus Kenia auf einer Gefängnisinsel im Marmarameer auf sein Verfahren wegen Hochverrats wartet. Der Abgeordnete Lars Rise sagte der Osloer Zeitung Aftenposten, der türkische Vize-Parlamentspräsident Uluc Gurkan habe vorige Woche eine Einladung bei einem Treffen in Marmaris ausgesprochen. Nach Rises Angaben verlangen die Behörden als Bedingung, daß die ausländischen Prozeßbesucher sich nicht „Beobachter“ nennen dürften. Sie sollten aber unbeschränkt am gesamten Verfahren gegen Öcalan teilnehmen dürfen. Die Türkei hatte bislang alle Forderungen internationaler Organisationen und anderer Regierungen nach Zulassung von offiziellen Prozeßbeobachtern abgelehnt.

Seit gestern muß sich die Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wegen Verletzung der Pressefreiheit, Verfolgung kritischer Autoren und Gewerkschafter sowie mutmaßlicher Folter an Kurden verantworten. Den Richtern liegen zwölf Beschwerden gegen die Regierung in Ankara vor, die mit dem Kurdenkonflikt zusammenhängen. Einer der Kläger ist der Istanbuler Anwalt Kamil Takin, Herausgeber der kritischen Zeitschrift Haberde Yorumda Gercek (Die Wahrheit der Nachrichten und Kommentare). Er wurde in der Türkei mehrfach vor Gericht gestellt, weil er die Unterdrückung der Kurden durch die türkische Regierung kritisiert hatte.