Anzeichen für Unruhe nach Wahlen in Nigeria

■ Bei einer Annullierung der Wahlergebnisse droht eine Verlängerung der Militärherrschaft

Berlin (taz) – Die reibungslose Übergabe der Macht vom Militär an eine gewählte Regierung in Nigeria steht nach den schweren Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentschaftswahl in Frage. Im Extremfall droht eine Wiederholung der Vorgänge um die letzte Präsidentschaftswahl vom 12. Juni 1993, die nach juristischem Streit vom herrschenden Militär annulliert wurde. Dieser Schritt ließ die damals schon einmal erhoffte Demokratisierung Nigerias platzen.

Die politische Spannungen wachsen jetzt wieder gefährlich an. Radikale Gegner der Militärherrschaft gingen am Montag in einigen Armenvierteln der größten nigerianischen Stadt Lagos auf die Straße. Die mit traditionellen Waffen ausgestatteten Anhänger der radikalen Gruppe Oodua People's Congress (OPC), die für eine Abspaltung des Yoruba-Siedlungsgebiets im Südwesten Nigerias vom Rest des Landes eintreten, verwüsteten zwei Polizeiwachen. Bei den nachfolgenden Auseinandersetzungen wurde mindestens ein Demonstrant getötet.

Bedrohlicher sind Vorwürfe, die noch amtierenden Militärgouverneure der 36 nigerianischen Bundesstaaten schürten Instabilität. Ein Gewerkschaftsvertreter sagte, die Militärgouverneure animierten Staatsangestellte zum Streik, um die Zentralregierung zu erpressen. In mehreren Bundesstaaten sind die Beamten teils seit Wochen im Ausstand, um die bereits 1998 von der Regierung zugesagten Erhöhungen ihrer lächerlich geringen Gehälter zu erzwingen. In manchen Landesteilen sind öffentliche Dienstleistungen bis hin zur Trinkwasserversorgung zusammengebrochen. Seit Wochenbeginn hat sich die Streikwelle abrupt ausgedehnt. Die neuen Streiks betreffen vor allem Bundesstaaten, in denen die Wahlmanipulationen nach Angaben von Wahlbeobachtern außergewöhnlich hoch waren.

Somit wachsen die Unruhesignale nach der Wahl vom vergangenen Samstag. Olusegun Obasanjo, pensionierter General und Favorit des herrschenden Militärestablishments, hatte diese nach offiziellen Angaben überraschend hoch mit mehr als 62 Prozent der Stimmen gewonnen, gegen knapp 38 Prozent für den von der Demokratiebewegung gestützten Olu Falae. Wahlbeobachter konstatierten zahlreiche Fälle, in denen in den Wahlurnen viel mehr ausgefüllte Stimmzettel lagen, als tatsächlich Wähler in den Wahllokalen aufgetaucht waren (siehe Kasten). Zwar gaben sich die internationalen Wahlbeobachter größtenteils mit dem Urteil zufrieden, die Schummeleien seien von beiden Seiten begangen worden und könnten nicht allein der Grund für Obasanjos außerordentlich hohen Sieg sein. Doch bei seiner Abreise aus Nigeria am Montag abend sorgte der prominenteste der internationalen Wahlbeobachter, der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter, für Verwirrung mit einer Erklärung, es sei ihm nicht möglich, ein Urteil über den Wahlausgang abzugeben.

Carters Beobachtergruppe hat in ihrem Bericht geschrieben, in neun Bundestaaten, vor allem im Süden des Landes um die Ölfördergebiete des Niger-Deltas, habe die wirkliche Wahlbeteiligung bei etwa 20 Prozent gelegen, aber die offiziell gemeldeten Zahlen seien viel höher gewesen – bis zu 75 Prozent. „In einigen Gebieten waren die offiziellen Zahlen so aufgebläht, daß es unmöglich war, festzustellen, wer die Wahl in diesem Gebiet tatsächlich gewann.“

Die beiden Oppositionsparteien AD (Alliance for Democracy) und APP (All People's Party), die den Wahlverlierer Olu Falae aufgestellt hatten, haben ihrerseits Zahlen vorgelegt, die beweisen sollten, daß Obasanjos Sieg allein auf solche Manipulationen zurückzuführen war. „Wir weisen hiermit das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in seiner Gesamtheit zurück“, erklärten sie. Zur Lösung der Krise verlangten sie die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit und die sofortige Amtseinführung der bereits in den vergangenen Monaten gewählten Parlamentarier, Gouverneure und Kommunalräte.

Offensichtlich will das Oppositionsbündnis jeden Schritt vermeiden, der eine Wahlannullierung und damit eine Verlängerung der Militärherrschaft ermöglichen könnte. Zuvor hatte ein Sprecher von Obasanjos Partei PDP (People's Democratic Party) der Opposition vorgeworfen, sie hätte „eine geheime Agenda, mit der sie Militarismus in diesem Land verewigen wolle“. Ein anderer PDP- Politiker lehnte eine Regierung der Nationalen Einheit ab.

Es liegt nun an Obasanjo selber, seinen Kurs zu bestimmen. Der General, der am 29. Mai die Macht übernehmen soll, hat jedoch immer noch nicht seine politischen Pläne vorgelegt. Gestern sagte er auf einer Pressekonferenz lediglich, er wolle eine Regierung der „Öffnung und Transparenz“ bilden. Sollte er sich im Laufe dieser Woche nicht noch deutlicher äußern, droht eine längere Periode der Unsicherheit. Nächste Woche nämlich werden nicht nur die ausländischen Wahlbeobachter wieder abgereist sein – auch Obasanjo wird sich auf einer Europareise befinden und damit für innenpolitische Initiativen nicht zur Verfügung stehen. Dominic Johnson

Kommentar Seite 12