Analyse
: Japanische Deflation

■ Ein Land verweigert den Konsum

Ihnen droht die Kündigung. Unterschreiben Sie nun den vorbereiteten Vertrag für ein Eigenheim? Sie sind gerade auf die Straße gesetzt worden. Würden Sie den bestellten Neuwagen trotzdem kaufen? Sie haben endlich wieder einen Job gefunden. Gehen Sie nun auf die jahrelang vorbereitete Weltreise? Wenn Sie diese drei Fragen mit Nein beantworten, dann verstehen Sie, was in Japan gegenwärtig schief läuft. Die steigende Arbeitslosigkeit – im Januar auf dem neuen Rekordhoch von 4,4 Prozent – löst unter den KonsumentInnen Ängste aus. Sie werfen deshalb keinen einzigen gesparten Batzen für unnötige Produkte zum Fenster hinaus. Offen gesagt ist das vom ökologischen Gesichtspunkt her betrachtet eine durchaus positive Entwicklung in diesem Land des Konsums.

Aber für die Konjunktur Nippons – und vielleicht auch für die gesamte Weltwirtschaft – ist diese Konsumverweigerung Gift, die in einer gefährlichen Deflation enden könnte. Pessimisten behaupten gar, daß sich Japan bereits mitten in der Deflationsspirale befinde und weisen auf die Konsumentenpreise hin, die im vergangenen Jahr um 3,6 Prozent gesunken sind. Das wiederum hemmt den japanischen Konsumenten weiter vor einem Kauf, weil er erwartet, daß vielleicht in einem Monat der Preis noch tiefer liegt. Solche Erwartungen sind eine Vollbremse für die Konjunktur, weil in Japan mehr als 62 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im einheimischen Markt erwirtschaftet werden.

Gigantische Stimulierungspakete der Regierung im Umfang von nahezu 1.000 Milliarden Mark beginnen nur langsam zu wirken. Zu langsam für einige Ökonomen. Deshalb fordern sie von der japanischen Notenbank (BoJ) eine neue Politik. Deren Geldpolitik ist schon extrem locker. Gestern Mittwoch standen die Zinsen für Tagesgelder auf 0,02 Prozent – morgen werden die Nullzinsen real. Das nützt nur Japans angeschlagenen Banken, die Konjunktur wird damit aber kaum stimuliert.

Die Notenbank muß früher oder später Geld in die Wirtschaft pumpen, um damit die Preise für Güter zu stützen oder gar anzuheben. Entsteht unter den Konsumenten die Erwartung, daß die Preise steigen, dann kaufen sie. Ein Beispiel sind etwa die gestiegenen Wohnungsverkäufe in bevorzugten Wohnvierteln Tokios, wo die Preise heute 80 Prozent unter den Rekorden in der Zeit der Seifenblasenwirtschaft Ende der 80er Jahre liegen.

Noch wehrt sich die Notenbank gegen eine solche „Reflationierung“ der Wirtschaft. Aber ein paar Hiobsbotschaften mehr über sinkende Kapitalinvestionen der Industrie, rote Zahlen in ehemals starken Konzernen und steigende Firmenpleiten dürften die BoJ davon überzeugen, daß nun der Moment für eine massive Ausweitung der Geldmenge gekommen ist. André Kunz