Ambon ist zur Geisterstadt geworden

■ Auf den indonesischen Molukken-Inseln gibt es jeden Tag Tote bei christlich-muslimischen Auseinandersetzungen. Oppositionelle sehen dahinter den langen Arm der Regierung

Täglich wächst die Zahl der Toten auf den indonesischen Molukken-Inseln: Seit Beginn der Unruhen am 20. Januar starben fast 200 Menschen. Ambon, die Hauptstadt der Inselgruppe 2.300 Kilometer östlich von Jakarta, ist zur Geisterstadt geworden. Ganze Straßenzüge sind niedergebrannt, über dreitausend Häuser verwüstet. Weder in Kirchen noch Moscheen sind die Flüchtlinge sicher, Zehntausende versuchen, sich ins Landesinnere oder auf völlig überladenen Fähren zu anderen Inseln zu retten. Journalisten und Ärzte kommen mit Bildern gefolterter und verstümmelter Opfer aus Ambon zurück.

Noch liegen die Hintergründe dieser schlimmsten Unruhen in Indonesien seit 15 Jahren weitgehend im Dunkeln. Ethnische und religiöse Spannungen erklären die große Brutalität und Wut nur unzureichend: Bis zum vergangenen Jahr rühmte die indonesische Regierung die Molukken gern als Musterbeispiel für ein harmonisches Zusammenleben von Christen und Muslimen.

Anders als in den meisten Teilen Indonesiens, wo 85 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, leben in Ambon überwiegend Christen. Sie sind Nachfahren der portugiesischen und holländischen Seefahrer und von Kaufleuten aus aller Welt, die einst auf den Gewürzinseln Nelken und Muskatnüsse suchten und ihre katholischen und protestantischen Missionare mitbrachten. In manchen Dörfern und Stadtvierteln leben inzwischen jedoch mehr muslimische Zuwanderer, die häufig den Handel dominieren oder um die Fischgründe konkurrieren. Schon früher kam es gelegentlich zu Streit zwischen Christen und Muslimen, Alteingesessenen und Zuwanderern.

Die staatliche Nachrichtenagentur Antara berichtete jetzt von mehreren Fällen, in denen Polizisten die Krawalle offenbar gezielt schürten — oder wegschauten, wenn Moscheen oder Kirchen in Brand gesetzt wurden. Oppositionelle wie der Politiker Amien Rais glauben an eine böse politische Verschwörung. Ihrer Ansicht nach sind Unruhen wie in Ambon von obskuren Kräften in Jakarta angeheizt. Das vermeintliche Ziel: Chaos in ganz Indonesien zu verbreiten, um der Armee den Vorwand zu geben, die demokratischen Reformen zu beenden.

Auch Armeechef Wiranto spricht von einem „systematischen Versuch“, die nationale Einheit zu untergraben und die rechtmäßige Regierung zu stürzen. Wen er damit meint, sagt er nicht. Sein Rezept, die Unruhen zu bekämpfen, ist eine in dieser Woche vorgestellte neue Elite-Einheit mit über 3.000 Soldaten, die als Feuerwehr eingesetzt werden soll, wo immer neue Krawalle ausbrechen. Sie solle die Gründe für die Explosionen erkennen und die Drahtzieher festnehmen, erklärte er.

Das wäre neu: In der Vergangenheit sind stets nur untere Chargen bestraft worden. Obwohl eine offizielle Untersuchungskommission zum Beispiel festgestellt hat, hochrangige Offiziere der Armee steckten hinter den Jakarta-Unruhen vom vergangenen Mai, ist noch niemand zur Verantwortung gezogen worden. Jutta Lietsch