Unfall vertuscht – Gefängnis

■ 28jährige Frau wegen fahrlässiger Tötung und Unfallflucht zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt / Ihr Freund wollte die Schuld aus Liebe auf sich nehmen

Gerade sechs Stunden hatte die 28jährige Tanja S. (Name geändert) ihren neuen Sportwagen, einen roten Ford Nissan mit 90 PS. Mit fast 100 Stundenkilometern rast sie im März des vergangenen Jahres gegen 19 Uhr über den schmalen Pappelweg im Parzellengebiet Walle. Es ist dunkel. Plötzlich – ein schwarzer Schatten, ein dumpfes Geräusch. Tanja S. steigt aus. Im Graben neben der Straße liegt ein älterer Mann. Er atmet nicht mehr. Tanja S. ist nicht sicher, ob er noch lebt. Sie steigt ins Auto und fährt weg. Ein Jahr und sechs Monate Haft, urteilte das Schöffengericht gestern. Die Richter ahndeten nicht nur die fahrlässige Tötung des 61jährigen Mannes und die Fahrerflucht. Die Frau hatte mit ihrem Freund, der neben ihr auf der Anklagebank saß, versucht, den Unfall zu vertuschen.

Nach dem Unfall fährt Tanja S. zu ihrem Freund. Sie will nicht zur Polizei. Sie hat Angst vor ihrem Vater, der ihr Geld für das Auto geliehen hat. Der Freund versteckt das Auto hinter einem Sandhügel. Um einen Diebstahl vorzutäuschen, reißt er die Zündkabel raus. Mit dem Fahrrad fährt er anschließend zur Unfallstelle. Er sieht den Mann im Graben. „Der war tot, das war klar“, sagt er. Auch Tanja S. fährt nochmal zur Unfallstelle. Per Notruf meldet sie kurz darauf ihr Auto als gestohlen. Bei der Vernehmung verstrickt sie sich in Widersprüche. Schließlich behauptet sie, ihr Freund habe den Wagen gefahren. Der Freund spielt mit. „Aus Liebe“.

Drei Wochen nach dem tödlichen Unfall setzt sich Tanja S. wieder ins Auto – ohne Führerschein. „Das war so eine Art Entzug. Wenn man mir den Führerschein wegnimmt, kann man mir gleich ein Bein abnehmen“, sagt sie vor Gericht. Ein Wort des Bedauerns kommt ihr nicht über die Lippen. Der Mann sei „da rumgetorkelt“. Auch Fußgänger müßten sich an die Verkehrsregeln halten, sagt sie und regt sich über die Polizei auf. Bei der Beweissicherung seien die Sitze des Autos „aufgeschlitzt“ worden. „Die Polizei hat einen Schaden von 12.000 Mark angerichtet. Das Auto war finanziert. Es geht hier nicht um Materielles, sondern um Menschenleben. Aber ich hätte das Auto noch verkaufen können. Ich habe nur noch 2.000 Mark gekriegt“, sagt sie in einem Atemzug. Vorsichtig erkundigt sich der Richter nach der Kindheit der Angeklagten. „Ich hatte eine Super-Kindheit. Ich habe immer alles bekommen, was ich wollte“, antwortet Tanja S. Nach der elften Klasse verläßt sie das Gymnasium und lernt im Büro. „Ich wollte Geld verdienen.“ Später arbeitet sie als Autoverkäuferin. Sie schnupft Kokain und Heroin, verliert den Job. Die Angeklagte sei nicht drogenabhängig und voll schuldfähig, sagt der Gutachter. Der Staatsanwalt will eine „Freiheitsstrafe, die fühlbar ist“. Die Angeklagte ist wegen zu schnellen Fahrens und Alkohol am Steuer vorbestraft. Der Anwalt von Tanja S. fordert Bewährung. Seine Mandantin sei dem „Reiz“ des schnellen Wagens erlegen. Tanja S. hat das letzte Wort. Sie weint. „Was soll ich sagen. Ich kann den Tag doch nicht zurückdrehen. Ich kann doch nicht 365 Tage dasitzen und sagen: ,Ich habe Schuld.“ „Das müssen Sie“, entgegnet der Richter in seiner Urteilsbegründung. „Sie haben das Leben eines Menschen ausgelöscht.“ Ihr Freund, „der Täter aus Liebe“, kommt mit einer Geldstrafe von 900 Mark davon. Der Angeklagten brummt das Gericht außerdem eine Führerscheinsperre von drei Jahren auf. Nach dem Urteilsspruch hat Tanja S. nur eine Frage. Ihr Führerschein sei schon einmal für ein Jahr eingezogen worden, erläutert sie dem Richter und fragt: „Wird dieses Jahr jetzt auf die drei Jahre angerechnet?“ Kerstin Schneider