Vom Krieg wachgeworden

■ Andrea Frohmader, alleinerziehende Mutter von fünf Kindern und engagierte Bosnienhelferin, plant eine Parteikarriere bei den Grünen. Aber die wollten erst nicht recht

Tuzla im Juni 1995. Andrea Frohmader steht auf dem Platz vor dem Café Kapija. Die Hauswände ringsum sind mit Blut bespritzt. Todesanzeigen hängen in Fetzen von einer Wand. Grüne Anzeigen mit Halbmond für Muslime, schwarze Zettel mit Kreuz für christliche Kroaten und Serben. Die Granate der Serben kannte keine Unterschiede. 71 Menschen starben am 25. Mai 1995 auf dem Platz, einem Jugendtreff. Der jüngste war drei Jahre alt, der älteste 25. 10 Tage später reist die Bremerin Andrea Frohmader mit einer Delegation nach Tuzla. „Das war unglaublich brutal“, erinnert sie sich. Seit 1993 organisiert die 45jährige Lehrerin die Bosnienhilfe „Brücke der Hoffnung“. 300 LKW mit Medikamenten, Kleidern und anderen Hilfsgütern der „Brücke der Hoffnung“ sind seitdem nach Bosnien gefahren. Etliche Male war Andrea Frohmader selbst dort. In Lukavac besichtigte sie eine Poliklinik und brachte Medikamente. Eine halbe Stunde nachdem sie wieder ins Auto gestiegen war, ging auf dem Parkplatz eine Granate nieder. Drei Menschen starben. Doch es sind die blutverschmierten Wände von Tuzla, die sie zu ihren schlimmsten Erinnerungen zählt.

„Ich bin wachgeworden durch diesen Krieg“, sagt Andrea Frohmader. Schon als Jugendliche interessiert sich die „Unternehmertochter aus gutbürgerlichem Hause“ für den Holocaust. Mit 20 reist sie nach Israel, weil sie mit den Menschen dort „über Schuld und Verantwortung“ sprechen will. Doch Politik spielt in ihrem Leben zunächst eine untergeordnete Rolle. Sie studiert Deutsch und Gesang, wird Lehrerin und Mutter. Als Andrea Frohmader 27 Jahre alt ist, wird ihre Tochter Anna, heute 17, geboren. Kurz darauf ist sie wieder schwanger. Anna folgen Sophie (heute 16), Simon (14), Luisa (12) und Laura (9). „Mein Mann und ich wollten immer Kinder – und wenn schon, denn schon.“ Mit fünf Kindern verspürt Andrea Frohmader wenig Lust, wieder als Lehrerin zu arbeiten. „Meine eigenen Kinder reichten mir völlig.“ Sie wird Familienfrau und engagiert sich ein bißchen in der Friedensinitiative. Abends, wenn die letzte Gutenachtgeschichte vorgelesen und auch das älteste Kind eingeschlafen ist, liest Andrea Frohmader oder sie schaut sich im Fernsehen politische Sendungen an. Im Frühjahr 1992, auf dem Balkan war gerade der Krieg ausgebrochen, sieht Andrea Frohmader eine Dokumentation über die Vergewaltigungslager der Serben. „Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich habe immer gedacht, du mußt was tun.“ Kurz darauf hält die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck einen Vortrag über die Frauenkonferenz in Zagreb und gründet die Bremer Aktion „Frauen helfen Frauen“. Andrea Frohmader: „Ich bin zu ihr hin und hab' gesagt, ich hab' jetzt jeden Morgen vier Stunden Zeit. Ich würde ganz gerne mithelfen. Für mich hat sich damals der Kreis geschlossen. Die ethnische Verfolgung von Menschen – zwei Stunden von uns entfernt. Dieser Verantwortung kann man sich nicht entziehen.“

Andrea Frohmader zieht ins Büro der Grünen und lernt als erstes die Politiker Bosniens auswendig. Sie wird grünes Parteimitglied. „Die Grünen haben sich damals solidarisch hinter die Brücke der Hoffnung gestellt.“ Sie hilft bei der Gründung des Bremer Flüchtlingshauses, in dem Frauen aus dem Kriegsgebiet Unterschlupf finden. Das Bosnien-Komitee wird gegründet. Waffen – ja oder nein. Eine Frage, über die im Komitee heftig gestritten wird. „Ich war immer Pazifistin. Alle Männer um mich herum haben den Kriegsdienst selbstverständlich verweigert“, sagt Andrea Frohmader rück- blickend. „Aber an diesem Krieg habe ich gelernt, daß der Einsatz von Militärs wichtig sein kann, um Zivilisten zu schützen.“ Daß sie später von der Bundeswehr sogar eingeladen wird, um die Soldaten als Referentin auf den Bosnien-Einsatz vorzubreiten, ahnt Andrea Frohmader damals nicht. Auch in Bosnien spricht sie mit den Soldaten. Eines Tages sagt ein junger Soldat zur ihr: „Hör mal, da hinter der Hügelkette sitzt doch der Feind. Ich muß doch meine Frau und mein Kind verteidigen“, erinnert sich Andrea Frohmader. In diesem Moment sei ihr vieles klargeworden, zum Beispiel, daß es leicht sei, am grünen Tisch über den Einsatz von Waffen zu diskutieren – wenn es keine Hügelkette gibt, hinter der der Feind sitzt. Und wenn ihr eigener Sohn sich entscheiden sollte, zur Bundeswehr zu gehen? „Das ist seine Sache“, antwortet Andrea Fromader ohne zu zögern. „Natürlich ist es ein Problem, daß Soldaten zu bedingungslosem Gehorsam verpflichtet sind. Aber darüber muß er nachdenken.“

Als Marieluise Beck 1996 stellvertretend für die „Brücke der Hoffnung“ mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, war das schon eine „gewisse Anerkennung“. Trotzdem sei Bosnien nach dem Krieg „eben doch sehr schnell vergessen worden. Die Leute hungern“, sagt Andrea Frohmader. Zur Zeit ist sie gerade dabei, eine Hilfsaktion für Senioren zu organisieren. Ihre Kinder erzieht sie inzwischen alleine. Und in die Politik will sie. Auch wenn sie bei den Grünen auf dem Landesparteitag vor wenigen Wochen fast durchgefallen wäre. Der Landesvorstand hatte sie für Platz sieben nominiert. Eher schüchtern stand Andrea Frohmader vor dem Mikrophon vor den Parteimitgliedern. Nach oben aufs Podium, von wo aus sich die meisten Mitglieder um einen Listenplatz für die Bürgerschaft bewarben, hatte sie sich nicht getraut. Ihr Engagement für die Bosnien-Hilfe erwähnte sie nur am Rande. Gutes tun und darüber reden – das liegt Andrea Frohmader nicht. Sie verlor gegen Anja Stahmann und Karin Krusche. Andrea Frohmader wollte aufgeben. „Du darfst nicht aufgeben, du mußt nach oben gehen, aufs Podium“, rieten Parteifreunde. Andrea Frohmader wollte nicht. Christine Bernbacher ging ans Mikrophon. Bernbacher will sich nach der Bürgerschaftswahl aus der Politik zurückziehen. Sie brauche eine Nachfolgerin, mahnte die Gründungsmutter der Bremer Grünen. Und diese Nachfolgerin sei Andrea Frohmader. Die Parteimitglieder wählten sie auf Platz elf. Andrea Frohmader zuckt mit den Achseln, als sie auf ihre Wahl angesprochen wird. „Ich kann mich selbst halt nicht so gut verkaufen. Aber ein Anliegen.“

Kerstin Schneider