Jüngeres Selbstporträt zwischen dorischen Säulen

■ Die Grüne „Old Lady“ Christine Bernbacher tritt nach 20 Jahren von der politischen Bühne ab. Ein kurzes Porträt der Parteigründerin

Von Christine Bernbacher lernen, heißt siegen lernen. Einmal, als die geborene Hannoveranerin noch im kleinen Odenberg am Deister lebte, hockte sie als Indianerin verkleidet mit einer langen, schwarzen Perücke hinterm Stachelbeerbusch. Mitten in der deutschen Kleinstadt am historischen Wall. „Und da kam mein Sohn vorbei – der war damals elf oder zwölf Jahre alt – und ich machte also Huhuhuhuhuhu“ – die Frau auf dem rosa Sofa macht Huuuuuuuu und klopft rhythmisch auf rote Lippen. – „Huhuhuhuhu. Und da war so ein Mann, der pflückte tags seine Erbsen und sah mich mit meiner schwarzen Perücke und im rosa Gewand – da schmiß er seinen Korb mit Erbsen hin, brüllte 'Das ist der Deifi' und rannte davon, als wäre tatsächlich der Leibhaftige hinter ihm her.“

In Odenberg hinterm historischen Wall war Christine Bernbacher in den sechziger Jahren die erste weibliche Ratsherrin, damals noch Sozialdemokratin. Stiefelte in Stöckelschuhen über die Höfe – rotes Kleid, roter Hut wie ein Blumentopf oben drüber – „damals ließen die noch die Hunde los, wenn wir Sozialdemokraten kamen.“ Immerhin brachte sie einem jungen Sozialdemokraten und Uhrmachermeister damit die Mehrheit, „der war dann 35 Jahre lang Bürgermeister.“

Und auch Bremens Grüne sind schon im 20. Lebensjahr. Und die Bernbacherin ist von Anfang an dabei. Dieses Jahr will sie der Hansestadt noch die Mehrheit für eine rotgrüne Regierung beschaffen, Ehrensache für eine Siegerin im 69. Lebensjahr. Dann verläßt Bremens heimliche Königin das Parlament. Was ihr angestammter Platz vielleicht auch gar nicht war. Ihre ernannte Nachfolgerin auf dem einsamen vordersten Platz unter dem Bürgerschaftspräsidenten wird Andrea Frohmader sein. Welche Lehre hat Bernbacher für sie aus 20 Jahren parlamentarischer Arbeit?! „Daß die Fraktion ein Team ist; daß sie aber trotzdem ihren eigenen Politikstil entwickeln muß. Bloß nicht zuviel Strategie! Die ganz praktische Politik, das Helfen heute, das ist das Entscheidende. Aber das brauch' ich ihr ja nicht zu sagen.“ In die gute Stube am Schwachhauser Ring Nummer 12 tritt jetzt der 17jährige Enkel, ein hübscher Kerl, der sich verzweifelt die schwarze Lederjacke über dem Nabel reibt. „Na, dann geh' mal in den Keller. Opa ist da.“ Und kocht an einer rosmarinen Suppe. Wieviel wunderbar häusliche Farben diese Wohnung doch hat! Olaf Dinné saß schon da und Peter Willers, Ende der Siebziger, als man gemeinsam die Bremer Grüne Liste in die Bürgerschaft powerte. Also zog man daraufhin auftrumpfend ins Büro am Wall, stritt sich und trennte sich und traf sich ohne die vier ersten grünen Bürgerschaftsabgeordneten um Olaf Dinné wieder am Schwachhauser Ring Nummer 12. Pflegte da die Wunden, den grünen Landesverband und die Beiratsarbeit im Kiez. Und während Dinné Friede mit den CDU-Vätern schloß, „klopften immer mehr Mitglieder aus den kommunistischen Gruppen an unsere Tür.“ Z. B. Ralf Fücks. „ Der hat damals wohl gelernt, daß die bürgerlichen Kräfte überhaupt nicht spießig sind. Sondern lernen können und aufnahmebereit sind.“ Jetzt hat Christine Bernbacher wieder eine Geschichte auf Lager. Denn natürlich findet sie eigentlich, daß der Fücks viel mehr bei ihr lernen konnte als nur dies. Bürgerliche Lebenslust. Den Calvados vor dem Mittagessen. Die Mamorbüste auf der Kommode. Das jüngere Selbstporträt zwischen den dorischen Säulchen. Die schöne Gegenwart auf dem rosa Sofa: „Wir galten ja oft als die beiden Pole der Bremer Grünen, Fücks und ich.“ Einmal waren sie ins Rathaus zum Empfang einer stockonservativen Delegation aus dem englischen Unterhaus eingeladen. Eine ältere Bürgermeisterin war mit von der englischen Partie: „Die schlief immer ein.“ Eine stocklangweilige Geschichte. Und die fünfzigjährige Grünen-Abgeordnete ritt einmal mehr der Teufel: „In Deutschland“, sprach sie, die viele Lebensjahre als Hebamme und Kinderkrankenschwester in England gelebt hatte, zu den hohen Gästen, „in Deutschland heißt es, die Männer lieben älteren Wein und jüngere Weiber. In England scheint das umgekehrt zu sein.“ Es wurde, erzählt Christine Bernbacher, ein wunderbarer Abend. Von Fücks sagt sie jetzt nichts mehr. Groß und stattlich, sagen wir, spiegelte er sich an jenem Abend in der Gestalt seiner Parteigängerin.

Legenden, Legenden. Legenden, sagt Christine Bernbacher, begleiten ihre Geschichte: „Der Herr Barowski und der Meyer vom BUND, die Frau Wittlow und die Frau Soundso, die gerade aus ihrem Betrieb gemobbt wird.“ Ständig klingelt das Telefon. 12 Jahre war Christine Bernbacher im Bremer Petitionsausschuß: Ein Job, in dem man Menschen aufliest unterwegs. Münchhausen, Edeltraut Paul-Bauer, Abass: „Wo die hinkomen, da ist die Legende von ihnen immer schon da.“ Und steht ihnen im Weg. Sie selbst war auch so eine. Die erste Rotationsverweigerin. Das hat sie vielleicht die Karriere als Senatorin gekostet. Bürgerschaftsvize war sie und im Grünen-Bundesvorstand. Ihr parlamentarisches Leben aber galt zuletzt doch den Petitionisten. „Christine, habe ich oft von meinen Kollegen gehört; Christine, wir können uns nicht in Einzelschicksalen verzetteln; wir müssen die Rahmenbedingungen verändern. Natürlich.“ Andrea Frohmader, ihrer Nachfolgerin, hat sie trotzdem den Petitionsausschuß ans Herz gelegt: „Das ist ja auch eine Art Menschenrecht.“ Ein Auftrag eben.

So wie Frohmaders Fahrt nach Bosnien damals. Der Mensch ist doch nicht nur ein bürgerliches Rechtssubjekt. Die Lehre der Andrea Frohmader? „Ihre ungeheure Zuversicht, daß sie heil zu ihren Kindern zurückkehrt. Einfach, weil sie das doch für eine gute Sache machte.“ Fritz v. Klinggräff