Hoffnung für jugoslawische Kriegsflüchtlinge

■ Innenminister verständigen sich auf humanitäre Lösung: Traumatisierte können vorläufig bleiben. Grundsatz der Großzügigkeit steht im Vordergrund

Dresden (taz) – Flüchtlinge, die durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien traumatisiert sind, müssen nicht mit einer raschen Abschiebung aus Deutschland rechnen. Darauf verständigten sich die Innenminister der Länder und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gestern in Dresden.

Zum sogenannten Kamingespräch – „einer sehr internen Runde der Innenminister“, wie Sachsens Ressortchef Klaus Hardraht (CDU) das Treffen beschrieb – hatten die Innenminister Hans Koschnick, den Bosnienbeauftragten der Bundesregierung, um eine Lageeinschätzung gebeten. Die zeigte offenbar Wirkung: Zwar seien sich die Innenminister einig, daß am Prinzip der vollständigen Rückführung aller Bosnienflüchtlinge festgehalten werde. Hardraht, der derzeit der Innenministerkonferenz vorsteht, sagte jedoch, man wolle künftig stärker humanitäre Aspekte statt formale in den Vordergrund der Entscheidungen stellen. „Traumatisierte oder besonders belastete Menschen sind nicht die, die wir jetzt um Rückkehr bitten“, so Hardraht. In Einzelfallprüfungen solle der Grundsatz der Großzügigkeit angewandt werden, der auch dazu führen könne, daß Flüchtlinge „noch längere Zeit bei uns bleiben können“.

Von den 350.000 bosnischen und kroatischen Bürgerkriegsflüchtlingen, die in Deutschland lebten, seien mittlerweile 260.000 in ihre Heimat zurückgekehrt, 90.000 leben noch bei uns, sagte Bundesinnenminister Otto Schily. Das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR geht von geringfügig anderen Zahlen aus. Innenminister Schily betonte, daß die Rückkehr überwiegend freiwillig geschah. „Lediglich ein Prozent mußten abgeschoben werden“, so der Minister.

Das UN-Flüchtlingskommissariat hatte im Vorfeld der Konferenz an die Innenminister appelliert, den Ausreisedruck von bosnischen Flüchtlingen zu nehmen, die in ihrer Heimat besonderen Grausamkeiten oder Verfolgungen ausgesetzt waren oder Opfer beziehungsweise Zeuge von schwersten Menschenrechtsverletzungen – etwa in den Konzentrationslagern – wurden. „Das UNHCR begrüßt in diesem Zusammenhang Bemühungen, den Begriff ,traumatisierte Opfer‘ nicht ausschließlich auf jene anzuwenden, die in ärztlicher Behandlung sind“, heißt es in dem Appell. Das Flüchtlingskommissariat plädierte zudem dafür, bei jenen bosnischen Flüchtlingen von Abschiebeandrohungen abzusehen, die aus Sicherheitsgründen nicht in ihre eigentlichen Heimatorte zurückkehren können.

In diesem Zusammenhang nannte Koschnick die gestern erfolgte Absetzung des Präsidenten der Serbischen Republik in Bosnien, Nikola Poplašen, einen wichtigen Schritt. Der internationale Bosnienbeauftragte Carlos Westendorp begründete die Absetzung Poplašens mit dessen Amtsmißbrauch. Er habe den Willen der Bevölkerung mißachtet, es versäumt, das Wahlergebnis umzusetzen, und sei stets darauf bedacht gewesen, Instabilität in der Serbenrepublik zu schüren, erklärte Westendorps Büro in Sarajevo den Schritt. Die internationale Staatengemeinschaft hatte Poplašen wiederholt heftig krisiert, weil er sich weigerte, die gewählte Regierung unter Milorad Dodik einzusetzen. Dodik wird vom Westen unterstützt. Er hatte 1998 die Wahlen in der bosnischen Serbenrepublik gewonnen. In Banja Luka kam es nach der Absetzung Poplašens zu Demonstrationen. Vizepräsident Mirko Sarović, dem das Amt automatisch zufallen würde, lehnte die Übernahme ab: „Die Ablösung Poplašens ist verfassungswidrig und undemokratisch“, erklärte er.

Koschnick sagte in Dresden, die Demokratisierung der Serbenrepublik sei eine wichtige Voraussetzung für die Rückkehr der Flüchtlinge, die in ihrer Heimat einer ethnischen Minderheit angehörten. „Der Krieg auf dem Schlachtfeld ist zwar vorbei. In den Köpfen setzt er sich aber immer noch fort“, so Koschnick.

Zudem nannte der frühere Administrator der EU in Mostar Erfolge bei den Kosovo-Gesprächen als wichtige Voraussetzung für eine Rückkehr. „Wenn es statt zu einer Einigung zu einem Konflikt kommt, wird sich das Klima auch in der bosnischen Serbenrepublik radikalisieren“, sagte Koschnick. Dann werde auch die Zahl der Flüchtlinge aus dem Kosovo – 180.000 Kosovo-Albaner sind derzeit in Deutschland – stark steigen. Nick Reimer

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