Ein Leben in Angst

■ Auch nach der Innenministerkonferenz ist für Bremer Bosnierinnen kein dauerhaftes Bleiberecht in Sicht / Der Gedanke an Rückkehr ist für die meisten unvorstellbar

Die Erlebnisse, die 30 in Bremen lebende Bosnierinnen veranlaß- ten, so weit wie möglich aus ihrer Heimat zu flüchten, sind nach sechs Jahren noch immer präsent, als wären sie erst gestern geschehen. In Vergewaltigungslager getrieben, in Gasthäuser oder Bordelle verschleppt, waren sie der Willkür ihrer Wächter und ständiger Todesangst ausgesetzt.

Die Bremer Abgeordnete Maria Spieker (Bündnisgrüne) forderte in der Bürgerschaftsdebatte im März 1993, Bremen solle sich dafür einsetzen, daß Verfolgung wegen des Geschlechts als Asylgrund anerkannt wird. Heute ist diese Forderung zwar in der Bonner Koali-tionsvereinbarung aufgenommen, aber noch nicht erfüllt. Deshalb sind diese Frauen ausländerrechtlich nur geduldet und müssen bei Nichtverlängerung eines ärztlichen Attestes, mit dem der weitere Therapiebedarf bescheinigt wird, mit der Abschiebung in ein Land rechnen, in dem die Täter immer noch auf freiem Fuß leben. Ein Gefühl der Sicherheit – Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Therapie – kann wegen der permanenten Angst vor der baldigen Rückkehr in ihr Heimatland, in dem sie auf die Täter treffen könnten, nicht aufkommen. Der jüngste Beschluß der Innenministerkonferenz, bei kriegs-traumatisierten Menschen den Grundsatz der Großzügigkeit anzuwenden, bedeutet nur einen weiteren Aufschub der Rückkehrverpflichtung, aber kein Dauerbleiberecht. Die Frauen hoffen, doch noch in die sogenannte Altfallregelung einbezogen zu werden, die von Bundesregierung und Ländern getroffen werden soll. Allerdings ist diese bisher für BosnierInnen ausdrücklich nicht vorgesehen, sondern nur für lang hier lebende Asylsuchende.

So zynisch der Begriff Altfallregelung auch erscheinen mag, setzen doch auch andere kriegs-traumatisierte Menschen, wie Frau Asima R.*, ihre letzte Hoffnung darauf, auf diesem Weg ein Dauerbleiberecht zu erhalten. Wie groß die Angst vor einer Rückkehr ist, machte Asima R. in einem Interview deutlich, das hier in Auszügen veröffentlicht ist:

Wir hatten uns mit vier Familien im Keller unseres Hauses verborgen. Plötzlich wurde unser Haus von allen Seiten mit schwerem Geschütz beschossen. Die Wände krachten über uns zusammen. Alle hatten furchtbare Angst. Auf einmal hörte die Schießerei auf. Noch ehe wir uns sammeln konnten, brachen serbische Soldaten die Tür auf und trieben uns unter wüsten Beschimpfungen auf die Straße. Alle Häuser in unserer Straße brannten. Als ein zweiter Trupp Soldaten dazu kam, fragte dieser Trupp: „Was sollen wir mit diesen Schweinen machen?“ Und die ersten sagten: „Treibt sie auf die Straße und erschießt Sie!“ Weil die Soldaten aber abgelenkt wurden, konnten wir fliehen. Aber später haben sie uns wieder gefaßt. Sie brachten uns in einen Wartesaal am Bahnhof. Alle wurden immer wieder geschlagen, besonders auch die Frauen, wenn ihre Kinder weinten ... Sie gaben uns schimmelige Kekse zu essen und sagten: „Schweine wie ihr essen so etwas!“ Wir wurden alle in das Stadion unserer Stadt getrieben, und dort blieben wir sieben Tage ohne Essen und Trinken ...“ Die Stimme von Frau R. fängt immer mehr an zu zittern. Man merkt deutlich, wieviel Überwindung es sie kostet, von ihrem Schicksal zu erzählen. ... Wenn wir nicht selber geschlagen wurden, mußten wir zusehen, wie andere gefoltert wurden ... Ein Soldat setzte zum Beispiel ein schweres Gewehr auf den Kopf eines knienden Mannes und schoß so auf andere ... Der fortwährende Rückstoß verletzte diesen Mann sehr schwer ... Als wir endlich aus dem Stadion heraus durften, fanden wir keine Unterkunft mehr. Niemand durfte uns für mehr als eine Nacht beherbergen, auch meine Schwester nicht. Wenn ich an meine Heimat denke, habe ich nur Angst ... Niemand will uns dort. Sie hassen uns, weil wir weggegangen sind ... Wir bekommen dort auch keine soziale Unterstützung, weil die Flüchtlinge aus Deutschland am Ende der Warteschlange stehen ... Das sagt natürlich niemand offiziell, aber das ist so ... Ich bin hier in ärztlicher Behandlung, und mein Arzt hat mir bescheinigt, daß ich nicht reisefähig bin ... Dort gibt es keine ärztliche Versorgung ... Ich habe nur Angst und denke, der Krieg kommt wieder ... Nur hier fühle ich mich sicher.

Brigitte Diekmann-Karg/

Brigitte Lück

*Name der Redaktion bekannt