Das System funktioniert nicht mehr

■ Auch die Biologie kann die Geschlechterrollen nicht rechtfertigen

Es ist wieder modern geworden: Die Biologie soll für unsere sozialen Rollen bestimmend sein. Das alte Argument konservativer Politik trifft auf ein Credo radikalfeministischer Strömungen. Dabei stellt sich das Problem ganz anders. Warum ist es wieder so modern geworden zu betonen, daß Menschen auch biologisch determiniert sind?

Biologische Rollen spiegeln den Stand der Evolution wider, soziale den der Gesellschaft. Beide sollte man voneinander trennen, weil die Gesellschaft auch – unter anderem durch die Wissenschaft – in die Evolution eingreift. Der Konflikt zwischen biologischer und sozialer Rolle wird so nicht ausgetragen, sondern auf einen Ersatzschauplatz verlegt. Unter dem Vorwand, daß Mutterrolle und Beruf schlecht vereinbar seien, werden Frauen darüber getäuscht, daß die Wirtschaft sie nicht benötigt.

Die Biologie wird so zum Instrument geld-oligarchischer Argumentation. In der politischen Diskussion muß sie dafür herhalten, Wirtschaftsmechanismen zu rechtfertigen. Politiker, die Familienarbeit in schönen Worten ausloben, halten damit den Status quo der Geldwirtschaft aufrecht.

Wenn die biologischen Rollen aufgewertet werden, wird der soziale Handlungsspielraum von Frauen verengt. Dumm nur: Auch die biologische Rolle ist in Gefahr. Neueren Zeitungsmeldungen zufolge wird man Frauen eines Tages nicht – oder nicht mehr ausschließlich – dazu benötigen, die menschliche Art zu erhalten. Da tut mensch besser daran, nicht allzusehr auf biologische Spezialisierung zu pochen.

Das schließt natürlich nicht aus, daß Frauen ihre Rolle als Mutter wahrnehmen und genießen. Kinder brauchen ihre Mütter – und auch ihre Väter. Und selbstverständlich brauchen Kinder die Sicherheit von Leitbildern. Das tradierte Versorgungsmodell erfüllte früher diese Funktion. Doch heute taugt es dazu nicht mehr. Denn die Geldwirtschaft am Ausgang des 20. Jahrhunderts stellt jegliche Sicherheit in Frage.

Das Wirtschaftswunder ermöglichte der Nachkriegsgeneration, am biologischen Rollenmodell festzuhalten. Doch überkommene soziale Rollen lassen sich nicht tradieren oder neu beleben, wo ihre ökonomischen Bedingungen gebrochen sind. Unzählige gut ausgebildete Frauen müssen für sich und ihre Kinder allein sorgen, auch wenn manche von ihnen diese Aufgabe gern teilen würden. Tatsächlich bestimmt das Sein auch die sozialen Rollen. Mütter müssen auch Väter sein – eine neue Form der Doppelbelastung, die für Frauen so herausfordernd ist, wie ihr Bedürfnis zu arbeiten störend ist für die Politik der Rezession.

Ein spielerischer Umgang mit Rollen mag weniger Gemütlichkeit bieten, ist aber ein zwingendes Zeichen von Realismus und Überlebenswillen. Die Propaganda biologischer Fixierung zielt, was Frauen angeht, einzig auf Anpassung an ein ökonomisches System, das auf der Mikroebene – zum Beispiel in den Haushalten der Alleinerziehenden – nicht mehr funktioniert. An ein System, das Frauen in Wirklichkeit nicht mehr zu bieten hat als symbolische Beschwörungen ihrer Wichtigkeit.

Hübsch, daß es immer noch Muttertage gibt. Doch Entscheidungen darüber, wer sozial welche Rolle spielt, fallen nicht in Blumenläden. Anke Westphal