Prêt-à-porter
: Blaue Beine

■ Kälte ist nicht virtuell, doch die neue Wintermode will einfach nicht wärmen

Seit letztem Winter gebrauchen Modedesigner häufig das Wort „Schutz“, wenn sie ihre Kollektionen charakterisieren wollen. Dabei bleibt unklar, wovor man sich eigentlich schützen soll. Helmut Lang zum Beispiel, der in New York zeigte, staffiert seine neuesten Kleider mit Polstern an Schultern und Ellbogen aus, die Arme bleiben allerdings oft nackt.

Wovor auch immer die Designer Angst haben – vor Kälte jedenfalls nicht. Am ersten Tag der Prêt-à-porter-Schauen in Paris gab es kaum einen warmen Wintermantel zu sehen. Kostas Murkudis, ein ehemaliger Assistent von Helmut Lang, hatte seine dünnen Pullover im Rücken zusammengebunden wie einen Bikini. Bis auf zwei Bändchen war die Rückseite nackt. Hosen und Oberteile waren oft aus dünnem Jersey, die Mäntel aus durchsichtigem Plastik. Das schützt immerhin vor warmem Regen.

David Purves hatte seine Kollektion aus einem einzigen Material gefertigt, einem dünnen synthetischen Stoff, der glänzte wie Leder und dehnbar war wie Gummi. Winterlich war daran nur die Farbe: Schwarz. Daß Kälte nichts Virtuelles ist, konnte man an den blaugeäderten nackten Beinen der Models sehen, die unter ihren langen Mänteln nichts als kleine Bikinis trugen.

Dagegen waren José Levys Kleider der Traum einer praktischen und kommerziellen Kollektion. Die leicht ausgestellten langen Röcke mit straff eingesteckten Blusen erinnerten an die gouvernantenhafte Strenge der belgischen Designerin Veronique Branquinho, aber es fehlte deren Prüderie.

Zu den langen Röcken trugen die Models hochhackige Schuhe. Blusen waren weit aufgeknöpft ohne gleich Busen zu zeigen. Pullover hatten einen Rückenausschnitt bis zur Taille. Dazu schlichte knielange Mäntel mit nützlichen Details wie Taschen oder einer Kapuze. Es gab viel Schwarz, aber auch Farben: eine dreiviertellange goldgelbe Hose, dazu gemusterte Strümpfe, flache Schuhe und ein enganliegender Rollkragenpullover in Orange.

Levys Hosen waren erfreulicherweise der weiblichen Figur angemessen geschnitten. Sie saßen tadellos um Hüften und Taille. Es war eine unaufgeregt schöne Kollektion, praktisch, ohne dabei doch dem reinen Utilitarismus zu huldigen.

Yohji Yamamoto ist seit einem Jahr der Darling der internationalen Modepresse. Er hat eine Art, historische europäische Kostüme wie Krinolinenkleider zu modernisieren. Er ist romantisch, aber niemals sentimental. Diesmal griff er auf die Avantgardetechniken zurück, die ihn – neben Rei Kawakubo – in den achtziger Jahren berühmt gemacht hatten. Das war ein Problem. Pullover ohne Ärmel, die die Arme fest an den Körper drücken, asymetrische Capes mit nur einem Ärmelloch, Mäntel, die aussahen wie um den Körper gewickelte Mantelreste – das hat er jedoch alles schon vor fünfzehn Jahren gemacht, und es ist nichts Neues dazugekommen.

Dann gab es eine Reihe von locker fallenden schwarzen Anzügen und Kostümen. Die Jacken hatten oft Sportswear- Elemente, etwa einen geraden Bund wie bei einem Blouson. Die Röcke waren lang und schmal mit hohen Schlitzen, oder es gab Faltenröcke zu sehen – die haben andere Designer allerdings schon vor einem Jahr gemacht.

Interessant wurde es erst, als immer mehr Kleider und Mäntel aus Samt herauskamen. Lange Mäntel sind an der Rückenpasse stark gefältelt, kürzere sahen aus wie bequeme Hausmäntel, mit Gürteln, die tief auf die Hüfte gerutscht waren. Auch andere Designer haben in den letzten Jahren oft Samt benutzt – aber mehr als dekorative Reminiszenz an die siebziger Jahre. Yamamoto greift auf die eigentliche Tradition dieses Materials zurück: den weichen Faltenwurf der Renaissance. Anja Seeliger