■ Gewerkschaftlicher Bildungsrat: Was in den Schulen zu tun ist
: Das weite Feld des Handelns

„Prinzip Verantwortung“, „solide Basis an Wissen und Kompetenz“, „Employability“ (Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit), Lehrer sollen „Vorbild“ werden, mit diesen Parolen meldet sich der Bildungsrat der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung zum dritten Mal. Es besteht die Gefahr, daß seine Empfehlungen diesmal überhört werden, denn sie skandalisieren nicht, zumindest nicht auf den ersten Blick. Im Herbst wagten die von den Gewerkschaften berufenen Experten den Tabubruch. Sie empfahlen ein staatlich und privat gemischtfinanziertes Bildungssystem. Das zweite Gutachten pries Selbststeuerung und Eigenverantwortung; ein Gegenentwurf zur Dienst-nach-Vorschrift-Welt vom Kindergarten bis zur Habilitation.

Nun wird erörtert, was in Schulen zu tun ist. Die Subjekte dafür sind Lehrer, Schüler, Eltern und vielleicht bald auch Dritte, die sich dort engagieren. Die Autoren des letzten Teils der Empfehlungen, die Bündnisgrüne Sybille Volkholz und der von seiner Gewerkschaft vertriebene ehemalige GEW-Vorsitzende Dieter Wunder, vermeiden populistische Töne. Sie enthalten sich großmäuliger Forderungen an den Staat. Verabschiedet haben sie sich auch von der lang geübten linken Selbstgerechtigkeit und Selbstbeerdigung als Opfer, die ja würden, wenn sie nur könnten, aber leider fehlten das Geld und überhaupt die gesellschaftlichen Bedingungen.

Wenn Schule endlich ein Ort folgenreichen Handelns werden soll, in dem „Selbstwirksamkeit“ geübt wird, worüber am Wochenende ein Pädagogikkongreß in Brandenburg debattierte, dann müssen die mentalen Marionettenfäden durchschnitten werden, an denen es sich so bequem baumeln läßt. Das ist die konstruktive Subversion der drei Bildungsgutachten. Das nun abschließende Papier unterläßt es nicht, deutlich zu machen, daß Voraussetzung für Selbständigkeit auch Basiswissen ist. Schulen müssen sich ebenso um Employability ihrer Schüler als um die Vermittlungfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt kümmern. Das sind keine Selbstverständlichkeiten. Bei Pädagogen werden schlechte Verhältnisse, die ja für viele Jugendliche tatsächlich katastrophal sind, häufig zur Ausrede. Es kommt also darauf an, den energiearmen Raum Schule endlich aufzuladen. Das kann kein Parlament beschließen und von keiner Behörde in Erlasse geschrieben werden. Die drei Böckler-Gutachten haben das weite Feld des Handelns vermessen. Jetzt brauchen wir gewagte Gründungen und mutige Gründer, die nicht alle das gleiche machen. Das würde die Geister erregen. Schulen und Unis dürfen nicht länger Anstalten sein, sie müssen freie, ihrerseits lernende Bildungsgesellschaften, vielleicht sogar Unternehmen werden.

Die Energie, die bisher zum Abfassen von Memoranden, zum Aufstellen von Forderungen und vor allem fürs tägliche Jammern verwendet wurde, muß nun endlich für eine etwas riskantere Praxis genutzt werden. Neugründungen müssen ja keine Neubauten auf dem Acker sein. Notfalls brauchen wir für den anstehenden Neuanfang von den Parlamenten nur ein einziges Gesetz. Dieses Gesetz verlangt von Schulkonferenzen und von den Fakultäten der Unis, sich wie das Konklave, das in der Sixtinischen Kapelle den Papst wählt, in ihrer Aula oder im größten Hörsaal einzuschließen, und gebietet, die Türen nicht zu öffnen, bevor sie sich darauf geeinigt haben, was sie selber wirklich wollen und mit welchen ersten Schritten sie beginnen.

Dann darf endlich ordentlich weißer Qualm aus dem Schornstein aufsteigen. Genug Papier dafür hat sich inzwischen ja angesammelt. Reinhard Kahl