Die EU-Kommission entdeckt die Forscherinnen

■ Bisher spielte die Förderung von Wissenschaftlerinnen in den europäischen Forschungsprogrammen keine Rolle. Das soll sich jetzt ändern, sagt die EU-Kommission

Pünktlich zur Auftaktkonferenz des 5. Forschungsrahmenprogramms in Essen legte die EU- Kommission das Dokument „Frauen und Wissenschaft“ vor. Zwar konstatiert es vorwiegend Altbekanntes: Je höher die Hierarchieebene, desto weniger Wissenschaftlerinnen verirren sich zwischen die Platzhirsche des Forschungsreviers. Dennoch ist das Kommissionspapier eine Neuerung: Bisher hatten dergleichen traurige Zustände niemanden im Betrieb der europäischen Forschungsförderung interessiert.

Nicht einmal Informationen darüber, wie viele Frauen sich an den bisher aus Brüssel geförderten Projekten beteiligten, gibt es. Das 4. Forschungsrahmenprogramm sah nicht vor, solche Daten zu erheben. Auch in dem vor einem Jahr von der EU-Kommission vorgelegten Bericht zur Chancengleichheit finden Frauen in der Wissenschaft – anders als ihre Kolleginnen aus Justiz, Wirtschaft oder Medien – keine Erwähnung.

Nun aber heißt es: „Die Forschung von, für und über Frauen muß gefördert werden.“ Die EU- Kommissarin für Bildung und Forschung, Edith Cresson, hob in Essen hervor: Im Vertrag von Amsterdam hat der Aspekt Chancengleichheit ein besonderes Gewicht. So erhalten die Unterzeichnerstaaten künftig das Recht, im Arbeitsleben spezifische Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Geschlecht zu gewähren. In einer Rede vor dem Komitee für Frauenrechte des Europaparlaments betonte auch der EU-Kommissar Padraig Flynn kürzlich die Bedeutung solcher „positiver Aktionen“.

Für das 5. Forschungsrahmenprogramm wird als Ziel ein Frauenanteil von 40 Prozent an Stipendien, bei der Durchführung von Programmen und in Gutachtergremien genannt. Wie dies zu verwirklichen ist, bleibt vage. Als es letztes Jahr darum ging, die Sachverständigengruppen zu besetzen, waren unter den von den EU-Staaten vorgeschlagenen KandidatInnen gerade mal 9 Prozent Frauen. Und bei den einflußreichen Gremien, die dem jetzt gebildeten Europäischen Forschungsforum vorausgingen (European Science and Technology Assembly und Industrial Research and Development Advisory Committee) betrug der Frauenanteil lediglich 6,7 beziehungsweise 0 (!) Prozent. In dem Forschungsforum, das die EU- Kommission berät, soll künftig mindestens ein Drittel der Mitglieder weiblich sein. Doch auch das Ende Februar in Essen vorgelegte Papier „Frauen und Wissenschaft“ enthält, neben ehrenwerten Vorsätzen, vor allem die üblichen Formulierungen: „so weit wie möglich“, „wird angestrebt“. Wissenschaftlerinnen werden „erwähnt“, „ermuntert“ und „zur Bewerbung aufgefordert“.

Barbara Bludau, Generalsekretärin der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), ist damit nicht zufrieden. Sie forderte auf einer Podiumsdiskussion während der Essener Konferenz, das Thema sehr viel konkreter anzupacken: Wer Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen wolle, müsse dafür Stellen schaffen. Als Beispiel führte sie das „Sonderprogramm zur Förderung herausragender Wissenschaftlerinnen“ an, für das die MPG zehn nach C3 besoldete Professuren zusätzlich einrichtete. Demnächst soll es gar, ebenfalls befristet, zehn volle Professorenstellen (C4) zwecks Frauenförderung geben. Ein solches „affirmative action“-Programm sei notwendig, um eine „kritische Masse“ zu schaffen, so Bludau. Nur dann könne sich eine „andere Kultur“ im Wissenschaftsbetrieb entwickeln, könnten Frauen Netzwerke bilden und an Einfluß gewinnen.

Bislang ist es damit bekanntlich nicht weit her: In einem Überblick über die Bemühungen der EU- Mitgliedsstaaten, Frauen in der Wissenschaft zu fördern, wird der Anteil von 5 Prozent Professorinnen in Deutschland als „sehr gering“ bewertet. In Italien ist immerhin jede zehnte Professorenstelle mit einer Frau besetzt. Doch das könnte auch damit zusammenhängen, so die italienische Wissenschaftlerin Rosanna D'Amario auf der EU-Konferenz „Frauen und Wissenschaft“ vor einem knappen Jahr in Brüssel, daß solche Stellen dort oft schlecht dotiert sind.

Zur Lage in Deutschland wies Wissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn darauf hin, daß ihr Etat erstmals einen eigenen Haushaltstitel „Frauen und Forschung“ von 7,5 Millionen Mark aufweist. Angesichts der Steigerung des gesamten Bildungs- und Wissenschaftsetats um 904 Millionen auf 15 Milliarden Mark kein allzu hoher Betrag. Schwerer könnte, wenn sie denn umgesetzt wird, eine andere Ankündigung der Ministerin wiegen: „Ich habe vor, den Anteil von Frauen an Leitungsstellen zu einem Parameter für die Mittelzuweisung zu machen.“ Keine Frauen in Führungspositionen, kein Geld – das könnte manchen Institutsdirektor ins Grübeln bringen. Konkret wurde auf EU- Ebene bisher nur eines: Ab sofort wird das Geschlecht der Antragsteller auf Fördermittel systematisch erfaßt. Entscheidend aber ist, so Barbara Bludau, ob wir am Ende des 5. Forschungsrahmenprogramms nicht nur über mehr Wissen über die Benachteiligung von Frauen in der Forschung verfügen, sondern ob sich dann Tausende von Wissenschaftlerinnen in guten Positionen befinden. Wiebke Rögener