Prêt-à-porter
: Mozart mit Techno-Beat

■ Tragische Gestalten auf windgepeitschter Heide: Die Designer Alber Elbaz und Dries van Noten versuchen sich in schwieriger Nachfolge

„Es ist absolut unmoralisch, egal, wieviel Geld man hat, 4.000 Franc für ein [Couture-]Jerseykleid zu bezahlen. Bei mir kostet es 400 Franc.“ Yves Saint Laurent 1968. Zwei Jahre zuvor hatte er seine erste Rive-Gauche-Boutique eröffnet – und damit das Prêt-à-porter erfunden: erstklassig verarbeitete Kleider zu einem akzeptablen Preis. Saint Laurent war der erste Designer, der sich von der Mode der Straße inspirieren ließ. Als er in den 60er Jahren eine Lederjacke in seiner Kollektion vorführte, schnappte die High-Society entsetzt nach Luft. Saint Laurent schnitt Herrenanzüge für Frauen – und tat damit mehr für den Feminismus als alle Bücher von Nancy Friday. Inzwischen ist er SAINT Laurent. Alber Elbaz trat am Montag ein unmögliches Erbe an: Der rundliche israelische Designer zeigte die erste Yves- Saint-Laurent-Kollektion nach Saint Laurent. Er sollte den Stil des Hauses verjüngen – aber gleichzeitig bewahren.

Wenn er wenigstens tot wäre. Dann hätte Elbaz vielleicht nicht so viel Angst gehabt. Aber mit diesen zwei legendären Gestalten auf dem Buckel (zu Saint Laurent gehört untrennbar sein Partner Pierre Berg), konnte er nur zusammenbrechen. Er hat den schwarzen Saint-Laurent- Anzug mit den charakteristischen Schultern nicht verändert. Er hat die Jerseykleider in den charakteristischen flammenden Farben beibehalten: schmale, einfache Kleider, nur von einem dünnen Gürtel in der Taille gehalten, in Ferrarirot oder Pink. Er hat die berühmte durchsichtige Chiffonbluse gezeigt. Es war wundervoll, aber es war hundertprozentig Yves Saint Laurent. Sobald Elbaz ans „Verjüngen“ ging, sauste er den Bach runter. Sportliche Blousons mit Puffärmeln. Anzüge mit knielangen, am Saum angekrausten Hosen – der Versuch, Saint Laurents altmodisch gewordener Eleganz etwas Sportsgeist mitzugeben, war fatal. Als versuche jemand, Mozart mit einem untergelegten Techno-Beat zu „verjüngen“.

Dries van Noten hat es leichter. Er wandelt auf Yamamotos Spuren. Ein besseres Vorbild für Romantik und Modernität ist zur Zeit nicht zu finden. Van Noten zeigte eine klösterliche Kollektion: bodenlange schwarze oder braune Kleider, mal mit weiten angekrausten Röcken, mal schmal geschnitten und – wie Mönchskutten – nur mit einem Tunnelgürtel auf den Hüften gehalten. Die Kleider waren im Rücken geknöpft, meist ärmellos, der Armausschnitt unversäubert. Über einen nackten Arm ist bis fast zur Schulter ein langer roter Handschuh gezogen, an dem ein rotes Band befestigt ist. Das sah nicht nur wundervoll aus, es paßte auch zum Ort: Die Vorführung fand in der Conciergerie statt: Hier wartete einst die Aristokratie auf die Guillotine.

Mäntel waren aus einem dicken Wollfilz geschnitten. Am Hals zu einer Art Blüte drapiert, schwangen sie nach hinten weg, wie wehende Gewänder. Seltsamer Effekt: Obwohl die Models sehr langsam durch die Reihen schritten, hatte man den Eindruck, einer tragischen Gestalt auf windgepeitschter Heide zu begegnen. Einige Kleider waren von unerwarteter Pracht: Ein langes braunes Wollkleid mit weitem Rock öffnete sich vorn, so daß man darunter den glitzernd bestickten roten Samtrock sehen konnte. Ein Rock aus schwerer schwarzer Seide war am Saum mit einer großen, bunten Blumengirlande bedruckt.

Sich von einem anderen Designer inspirieren zu lassen, ist etwas anderes, als sein Haus zu übernehmen. Künstlerisch gesehen wäre es wahrscheinlich ehrlicher, ein Haus zu schließen, wenn der Meister nicht mehr kann oder will. Auch kommerziell haben sich die meisten Übernahmen als fragwürdig erwiesen. Ein Haus wie Dior lebt heute vom Parfüm. Sitzt Alber Elbaz in der Falle? Anja Seeliger