700.000 sahen die Ausstellung

■ Trotz Bombenanschlags und Dauerprotesten von CDU, CSU und Neonazis. Die Dokumentation der Verbrechen der Wehrmacht tourt weiter durch Deutschland und bald auch durchs Ausland

Berlin (taz/dpa) – Niemand vom Hamburger Institut für Sozialforschung hatte 1995 mit soviel Aufregung gerechnet. Die Einrichtung, die vom Historiker und Mäzen Jan Philipp Reemtsma geleitet wird, wollte eigentlich nur aufklären.

Die vor vier Jahren neu konzipierte Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ präsentiert einen – in dieser Konsequenz neuen – Blick auf die Geschichte der Hitlerarmee. Fotos von Leichenbergen, Massenerschießungen und Galgen sowie Dokumente wie Feldpostbriefe, Tagebücher von Soldaten und Befehle der Wehrmachtsführung werden gezeigt. Der Wissenschaftler Hannes Heer und eine Arbeitsgruppe haben das Material, das von den Kriegsschauplätzen Serbien, Ukraine und Weißrußland stammt, erarbeitet. Es soll beweisen: Die Wehrmacht war an der Judenvernichtung und den Kriegsverbrechen „aktiv und als Gesamtorganisation“ beteiligt.

In Hamburg selbst, wo die Ausstellung vor drei Jahren zum ersten Mal zu sehen war, gab es noch keine Proteste. Das sollte sich in anderen Städten ändern. Im März 1997 wurde „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht“ in München gezeigt. CSU-Politiker hatten vorher wochenlang versucht, dies zu verhindern. Zur Eröffnung muß die bayerische Polizei 4.500 Neonazis und 8.000 Gegendemonstranten in der Landeshauptstadt trennen. Seitdem reißen die Proteste nicht mehr ab. Fast überall kommt es zu Leserbriefdebatten und Demonstrationen. Oft versuchten Kritiker auch gewaltsam, die Ausstellung zu verhindern. Trotzdem wurde sie mitlerweile in 30 Städten gezeigt.

Die Kritiker des Konzepte des Hamburger Instituts für Sozialforschung beharren auf der verbreiteten Vorstellung, Wehrmachtssoldaten hätten „im Krieg nur ihre Pflicht getan“. Die Armee als Ganzes habe auf Distanz zum nationalsozialistischen Regime gestanden. Das Magazin Focus kritisiert zudem eine angeblich unzureichende Dokumentation eines Fotos in der Ausstellung und warf Ausssellungsmacher Heer Fälschung vor: „Heer (...) lügt und fälscht selbst in der Begründung für den Bildwechsel...“ Die Hamburger Ausstellungsmacher konnten jedoch per Gerichtsurteil eine Gegendarstellung durchsetzen.

Trotz aller Proteste: Mehr als 700.000 Menschen haben die Wehrmachtsausstellung bis heute gesehen. 50 weitere Städte wollen sie zeigen. Eine extra für das Ausland erarbeitete Version wandert ab November durch die USA und Kanada. Auch Italien, die Niederlande und Länder der ehemaligen Sowjetunion haben Interesse angemeldet.

Nur Soldaten der Bundeswehr sollen die umstrittene Ausstellung nicht sehen. Der Besuch im Rahmen der politischen Bildung ist nicht gestattet: Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) hat das Verbot seine Vorgängers Volker Rühe (CDU) bisher nicht aufgehoben. r.a.