„Wir brauchen die Schwarzen!“

■ „Ich brauche die Schwarzen“, hat Bremens Bürgermeister Henning Scherf gegenüber dem Münchener Magazin „Focus“ gesagt. Wir fragten acht prominente Bremer SozialdemokratInnen, wie sie sich das erklären

taz: Wozu braucht die SPD die Schwarzen?

Karin Jöns, SPD-Europa-Abgeordnete: In meinen Augen braucht die SPD die nicht.

Aber Genosse Henning meint das schon.

Ja, diese Auffassung teile ich nicht. Wir wollen stärkste Partei werden, und dann sehen wir weiter.

Scherf will sogar lieber mit der CDU alleine als mit den eigenen Genossen regieren.

Auch die Bremer SPD hat Leute mit Wirtschafts- und Finanzkompetenz. Zur Zeit liegt das Ressort nur in anderer Hand.

Aber Scherf kennt diese Leute offenbar nicht, sonst würde er doch sowas nicht sagen?

Weiß ich, was Scherf so treibt. Mich macht es nicht glücklich. Es erübrigt sich jeder Kommentar.

taz: Sie streben keine absolute Mehrheit an, weil Sie die Schwarzen brauchen?

Carmen Emigholz: Ich?

Steht im Focus.

Ich möchte darauf hinweisen, daß der Bürgermeister da seine persönliche Meinung gesagt hat. Ich als Mitglied des Landesvorstandes und der Fraktion denke, daß die SPD allemal die Kraft hat, um eine absolute Mehrheit zu kämpfen.

Scherf meint, daß die SPD allein nicht die Kompetenz hat .

Ich denke nicht, daß das eine Kompetenzfrage ist. Ich kann diese Äußerung nur als persönliche Meinung akzeptieren.

Hat Scherf einmal seine Meinung der Partei erläutert?

Nein. Das war uns auch bisher so nicht bekannt gewesen. Das ist schon eine neue Qualität.

Die persönliche Auffassung des Bürgermeisters wird am Wahlabend große Bedeutung haben.

Daß der Bürgermeister ein enormes Gewicht hat, bestreite ich nicht. Ich bin ja nicht naiv.

Auch am Wahlabend?

Der Bürgermeister darf seine persönliche Meinung auch am Wahlabend sagen. Die Entscheidung liegt aber bei der Partei. Für mich geht es dabei um die Frage, wie mit wem in den nächsten vier Jahren möglichst viel von den sozialdemokratischen Zielen durchgesetzt werden kann.

taz: Herr Wedemeier, warum braucht die SPD die Schwarzen?

Klaus Wedemeier, früher Bürgermeister, lacht: Es ist so bequem. Nein, bei der letzen Wahl haben wir sie wegen des Wahlergebnisses gebraucht. Ich war auch dafür, und das war auch richtig. Jetzt wartet man das Wahlergebnis ab, und dann entscheidet man sich. Man muß sehen, mit wem man in Bremen was Vernünftiges zustande bringen kann im Land, wie wir sozialdemokratische Politik im Bundesrat absichern. Man muß sehen, wer ist zuverlässig...

Scherf will sogar lieber mit der CDU als allein mit den Genossen...

Ja, das ist ein Aufruf an die Wähler, die SPD vor der absoluten Mehrheit zu schonen. Das kann ich nicht verstehen.

taz: Warum braucht die SPD die Schwarzen?

Jürgen Maly, Ortsverein Buntentor, Ex-Landesvorstand: Wir brauchen die CDU bis zum Juni 1999, weil wir einen Koalitionsvertrag mit ihr haben. Danach brauchen wir sie nicht mehr.

Henning Scherf hat gesagt, er würde lieber mit der CDU regieren als allein mit der SPD.

Das ist die private Meinung des Spitzenkandidaten.

Eben, die Meinung des Spitzenkandidaten. Ist das nicht eine Ohrfeige für die SPD?

Das ist eine mehrmalige Entgleisung, aber eine Partei wie die SPD kann man nicht ohrfeigen. Auch nicht der Genosse Henning. Auch durch solche Äußerungen wird die SPD nicht zum HSV-Verein, also zum Henning-Scherf-Verein, mutieren.

Ist denn so ein Spitzenkandidat überhaupt noch tragbar?

Die SPD hat ein politisches Programm...

... das von einem Spitzenkandidat repräsentiert wird...

Scherf versucht die SPD aufzurütteln. Er will, daß die Genossen auch die positiven Seiten in Bremen sehen, dabei verrennt er sich. Das sieht die Mehrheit so....

...und nimmt es hin?

Wir rasten nicht öffentlich aus. Die SPD siegt nur durch Geschlossenheit. Wenn sich Scherf nicht wieder einfangen läßt, werden sich sicherlich Genossen finden, die meinen, daß dies auf einem Sonderparteitag diskutiert werden muß.

taz: Warum braucht die SPD die Schwarzen?

Jens Böhrnsen, innenpolitischer Sprecher: Wir haben sie in dieser Legislaturperiode für eine vernünftige Politik gebraucht, ob wir sie weiter brauchen, werden wir am 6. Juni gegen 18.15 Uhr wissen. Ich interpretiere Scherfs Äußerung so, daß er jedes Spekulieren über eine absolute Mehrheit für die SPD für Traumtänzerei hält.

Scherf hat gesagt, er sei nicht besonders ehrgeizig. Er wollte offenbar andeuten, daß er seinen Stuhl als Bürgermeister nicht um jeden Preis behalten will. Sagen Sie, wer ist Scherfs Nachfolger?

Die Frage nach einem Nachfolger stellt sich nicht. Die gesamte SPD steht hinter Henning Scherf.

taz: Die SPD kann nicht ohne CDU?

Eva-Maria Lemke-Schulte, Ex-Senatorin: Das kann ich nicht sagen, aus meiner Sicht braucht die SPD die nicht. Wir brauchen eine starke Mehrheit.

Warum sieht Scherf das anders?

Das müssen sie ihn fragen. Er hat gesagt, daß er die Schwarzen braucht, in der Tat, aber über die Koalition entscheidet die Partei, wenn die Wahl gelaufen ist.

Aber Scherf ist immerhin ihr Spitzenkandidat.

Ich habe diese Äußerungen ja nicht zu vertreten. Ich halte sie auch nicht für hilfreich.

taz: Die SPD strebt nicht die Mehrheit an, sondern braucht die Schwarzen, um Bremen anständig zu regieren ?

Carsten Sieling, SPD-Abgeordneter: Ich meine das nicht. Ich kämpfe dafür, daß die SPD so viele Stimmen wie möglich bekommt.

Warum denkt der Präsident des Senats, die SPD allein könnte Bremen nicht gut regieren?

Ist mir völlig unklar. Vielleicht traut er sich selbst das nicht zu.

Hat es einmal eine Diskussion in der SPD gegeben, wo Scherf das erläutert hat?

Es hat verschiedene Diskussionen darüber gegeben, aber ich habe keiner beigewohnt, wo Henning Scherf dabei gewesen war. Seine Motivationslage konnte da nicht erklärt werden.

Wird es demnächst eine Gelegenheit dazu geben?

Am Montag ist eine Landesfunktionärskonferenz, da soll über die Wahl debattiert werden.

Gibt es in der SPD eine andere Person, die als Präsident des Senats vorstellbar wäre?

Darüber gibt es keine Diskussion, das sehe ich auch nicht. Am 6. Juni wird es ein Wahlergebnis geben. Wenn wir da eine absolute Mehrheit haben, regieren wir allein. Ich erwarte das nicht, eher wird es 54 oder 55 Sitze für Rot-Grün geben. Dann muß man auch mit den Grünen verhandeln.

Wenn die AFB und die FDP unter fünf Prozent bleiben, würde es bei einer großen Koalition eine große Volkskammer-Mehrheit mit 85 Prozent der Sitze oder mehr geben.

Eine Volkskammer-Mehrheit – das geht nicht. Es muß eine Opposition geben.

taz: Die SPD kommt ohne die Schwarzen nicht aus?

Hilde Adolf, Bremerhavens Nummer 1 in der SPD, lacht: Ach, fragen Sie doch Herrn Scherf zu diesem Thema.

Herr Scherf hält die SPD für nicht regierungsfähig. Er sagt, Sie bräuchten die CDU.

Ich brauche im Wahlkampf jetzt niemanden. Ich will eine starke SPD.

Scherfs Äußerungen stören Sie also nicht?

Ich will kein Öl ins Feuer gießen.

Fragen: Kerstin Schneider / Klaus Wolschner