„Brcko soll wieder wie früher sein“

In der umstrittenen bosnischen Stadt kommt nach dem internationalen Schiedsspruch Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben auf. Doch der serbische Bürgermeister blickt finster in die Zukunft und stößt Drohungen aus  ■   Aus Brcko Erich Rathfelder

Der amerikanische Offizier hebt warnend die Stimme. Die Fahrt nach Brcko, der umstrittenen Stadt in Bosnien-Herzegowina, sei gefährlich. „Passen Sie auf, wenn Sie dorthin fahren. Am besten halten Sie sich hinter unseren Militärfahrzeugen.“ Die SFOR-Truppen in Bosnien seien in Alarmbereitschaft versetzt. „Wir sind auf alles vorbereitet“, erklärt der in Kroatien stationierte Offizier.

Die Militärs der SFOR sind nervös geworden. Nach dem Schiedsspruch des internationalen Vermittlers Robert D. Owen vom letzten Freitag, der die bisher unter serbischer Kontrolle stehende Stadt zu einem multiethnischen Gebiet erklärt, zu der alle Bürger Zugang haben, signalisierten die serbisch-bosnischen Politiker in Banja Luka Widerstand. Und seither werden besondere Vorsichtsmaßnahmen getroffen.

Schon von weitem sind die amerikanischen Hubschrauber zu sehen, die in Formation über der Stadt kreisen. Am Ufer der Sava beobachten kroatische Polizisten die Szenerie. Die geben jedoch den Weg für alle frei, die über die nach dem Krieg wieder instandgesetzte Brücke nach Brcko fahren wollen. Von einer außergewöhnlichen Anspannung ist auch bei den serbisch-bosnischen Grenzwachen auf der anderen Seite des Flusses nichts zu spüren. Die sind freundlich. „Keine besonderen Vorkommnisse“, melden sie.

Auch im Zentrum der Stadt ist von besonderer Anspannung nichts zu spüren. Die Militärs übertreiben offenbar die Gefahr. Auf dem Markt drängen sich die Menschen, sie kaufen Früchte und frischen Salat. „Brcko wird wieder so sein wie früher“, sagen zwei ältere Frauen, als sie auf den Schiedsspruch angesprochen werden. Es sind Serbinnen, die aus der Stadt stammen und die immer hier gelebt haben. „Wir haben immer gut mit den Muslimen und Kroaten zusammengelebt. Der Krieg muß endlich vorbei sein.“

Dem kann eine Nachbarin nur zustimmen. Die 60jährige Frau gehört zu den wenigen Musliminnen, die den Krieg auf der serbischen Seite im Zentrum der Stadt überlebt haben. Sie konnte nicht fliehen, wie die Mehrheit der Bevölkerung damals, denn die serbischen Truppen hatten zuerst das Zentrum der Stadt besetzt. Ihr Sohn wurde 1992 in ein Konzentrationslager gebracht, erzählt sie freimütig inmitten des Menschengetümmels des Marktes. Er habe überlebt, sei über Kroatien nach Deutschland gegangen, jetzt sei er in den USA. „Dank Clinton haben wir hier bald wieder eine Zukunft“, freut sie sich. Viele alteingesessene serbische Bewohner Brckos dächten ähnlich, sagt sie zum Abschied. „Es sind aber die serbischen Flüchtlinge, die hier Probleme machen.“

Tausende serbische Flüchtlinge aus Kroatien und aus Sarajevo kamen 1995 und 1996 in die jetzt rund 30.000 Einwohner zählende Stadt, in der vor dem Krieg nur 20 Prozent der Bewohner Serben waren. Sie sind in die leerstehenden Wohnungen und Häuser der vertriebenen Muslime und Kroaten eingezogen. So wie Dragan K. Der ehemalige Lehrer aus Knin in Kroatien versteht die Welt nicht mehr. „Ich möchte lieber im Krieg gefallen sein, als dies zu erleben“, sagt der trotz seines jugendlichen Alters grauhaarige Mann. Mehr will er nicht sagen.

Da ist Borko Reljic, der serbische Bürgermeister der Stadt, schon offener. „Dies haben uns die Amerikaner eingebrockt.“ Seit die OSZE entschieden hatte, daß auch die serbischen Flüchtlinge in der Stadt wählen durften, haben die serbischen Parteien mit 52 Prozent der abgegebenen Stimmen eine Mehrheit im Stadtparlament. Nachdem im Februar 1997 von der internationalen Gemeinschaft beschlossen wurde, die Stadt unter internationale Aufsicht zu stellen, um die endgültige Entscheidung über den im Dayton-Abkommen ungeklärten Status der Stadt vorzubereiten, wurde eine Verwaltung unter dem US-Amerikaner Robert Serrand aufgebaut. Dies führte dazu, daß eine gemischte Polizei gebildet wurde und der Gemeinderat zu funktionieren begann. Die Vertriebenen Muslime und Kroaten sind in ihm vertreten. Die Stellvertreter Reljic stammen aus den anderen Volksgruppen.

Jetzt ist Reljic enttäuscht. Er habe immer mit den internationalen Institutionen kooperiert, sagt er. Der Schiedsspruch sei eine „amerikanische Entscheidung gegen die Serben“ gewesen. Und er droht: Das Parlament der Republika Srpska habe die Zusammenarbeit mit den internationalen Institutionen eingestellt. „Der Schiedsspruch muß zu unseren Gunsten verändert werden. Wenn nicht, wird die Stabilität in Bosnien und Herzegowina in Frage gestellt.“ Jusufovic Hajrudin-Belja, zuständig für den Wiederaufbau der im Krieg zu großen Teilen zerstörten Stadt, kann sich nicht erklären, was eine solche Drohung meinen könnte. Der Schiedsspruch könne nicht mehr verändert werden. „Er ist endgültig. Wer nicht kooperiert, verliert jeglichen Einfluß. Das wissen die serbischen Politiker auch“. Die Unruhe werde sich legen. Er freut sich, daß jetzt eine Klarheit geschaffen worden ist. „Jetzt können alle Flüchtlinge zurückkehren, wir werden ein demokratisches Gemeinwesen aufbauen, in dem alle Volksgruppen leben können.“

Auch Sofija Tuvsemovic freut sich. Vor fünf Monaten ist sie mit ihrer Familie in ihr Haus zurückgekehrt, das am Stadtrand im „Grünen“ lag. Hier verlief die Frontlinie. Von dem Haus war nur noch eine Ruine übrig geblieben. „In nur zwei Monaten haben wir das Haus wieder aufgebaut.“ Die Mauern wurden von Arbeitern der Hilfsorganisationen hochgezogen, Fenster und ein neues Dach gesetzt. Jetzt ist sie dabei, den Garten wieder herzurichten. „Wir haben in der Nähe von Tuzla als Flüchtlinge gelebt. Wieder zu Hause zu sein, ist wunderbar.“ Und sie nimmt den Spaten, um die Erde ihres Gartens umzugraben.

Wer nicht kooperiert, verliert jeden Einfluß.Das wissen die serbischen Politiker auch