: Fahrtziel: Desaster
■ Die Bahn bringt sie hin
Auch diesmal ging es nicht ohne Pannen ab: In der Zentrale der Deutschen Bundesbahn in Frankfurt klemmt das Drehkreuz für die Besucher. Die Bahn hat sich nicht auf Pünktlichkeit festgelegt: Beginn der Pressekonferenz „gegen 12.00 Uhr“. Vorstandschef Johannes Ludewig wirkt erschöpft und angespannt. Er arbeitet mit Overhead-Projektor gegen die Unglücksserie und den Imageverlust der letzten zehn Tage an. Die Bahn sei sicher, sagt er immer wieder, nur der Schein trüge. Um 40 Prozent seien die Unfallzahlen in den letzten sechs Jahren gesunken. Ludewig beschwört die Zahlen, beschuldigt die Presse, zu oft zu „schnell und undifferenziert“ zu berichten, und lädt sie im selben Atemzug zu weiterem „fruchtbarem Gespräch“ ein.
Am Vormittag hatten sich Bahn-Vorstand und Gewerkschaftsvertreter zusammengesetzt, um über Konsequenzen der Unfallserie des statistisch sichersten Verkehrssystems zu ziehen. Weit waren sie damit nicht gekommen. Der Personalabbau wird nicht, wie von den Gewerkschaften gefordert, sofort gestoppt. Aber man habe gemeinsam, so Ludewig, „damit angefangen, darüber nachzudenken“, wie Sicherheitssysteme, Wartung und Instandhaltung der Bahn weiter verbessert werden könnten. Allerdings sei im Sicherheitsbereich nie gespart worden. Man wolle aber da, wo menschliches Versagen Unfallursache gewesen sei, in jedem Einzelfall überprüfen, ob Aus- und Fortbildung des Personals ausreichend gewesen seien.
Den Fragen, ob die Unfallserie nicht doch mit dem Personalabbau der Bahn zusammenhängen könne, wich Ludewig immer wieder aus. Er nannte statt dessen den von der Politik verursachten schnellen Strukturwandel des Unternehmens als eine der Ursachen. Die Bahn habe in wenigen Jahren nachzuholen, wozu andere Unternehmen lange Zeit gehabt hätten. Außerdem sei „die Straße“ im Gegensatz zur Schiene allzulange privilegiert gefördert worden.
Für künftige Fahrpreiserhöhungen machte Ludewig vor allem die geplante Ökosteuer verantwortlich, die entweder von den Bundesländern als Abnehmern der Bahn im öffentlichen Personennahverkehr bezahlt oder aber an die Fahrgäste weitergegeben werden müsse: „Der Kunde zahlt den Preis. Oder haben Sie schon mal ein Unternehmen gesehen, wo das nicht so ist?“
Zum Schluß kam es dann zum Eklat mit den Gewerkschaftsvertretern. Nachdem Ludewig sich zu Entlassungen nicht eindeutig hatte äußern wollen, warf der Vertreter der Gewerkschaft der Lokomotivführer, Manfred Schell, dem Vorstand vor, er rede „mit zwei Zungen“. Der Arbeitsdirektor habe bereits den Abbau von noch einmal 18.000 Stellen angekündigt. Ludewig reagierte ungehalten: „Versuchen Sie nicht, den Vorstand auseinanderzudividieren. Das hat noch nie geklappt!“ Schell hatte Betriebsklima und Existenzängste der Mitarbeiter als einen Grund für die Pannen genannt. Die 28.500 Lokotivführer, die früher „eine Einheit“ gewesen seien, seien nun auf verschiedene Unternehmen aufgeteilt, „auseinandergerissen“ worden und „moralisch auf dem Tiefpunkt“: „Sie fühlen sich in diesem Unternehmen heimatlos.“ Heide Platen, Frankfurt
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