Preissturz im Luxushotel

Auf der Internationalen Tourismusbörse präsentierte sich eine selbstbewußte Wachstumsindustrie. Immer mehr Länder setzen auf die Segnungen des Tourismus und verderben sich gegenseitig das Geschäft  ■ Von Christine Plüss

Den weltweiten Schockwellen der Asienkrise zum Trotz hat die internationale Reisetätigkeit im vergangenen Jahr offenbar wiederum zugelegt: Nach Angaben der Welttourismusorganisation (WTO) wurden 1998 insgesamt 625 Millionen grenzüberschreitende Reisen unternommen, das waren 2,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die Erträge aus dem internationalen Reiseverkehr stiegen um 2 Prozent auf total 444 Milliarden US Dollar.

Mehr als 1,7 Millionen Menschen sind Tag für Tag rund ums Jahr auf Auslandsreise unterwegs, sei es für Urlaub oder Geschäft, und die Einnahmen aus diesen Reisen belaufen sich durchschnittlich auf stolze 1,2 Milliarden US- Dollar pro Tag.

Die Zahlen sind beeindruckend. In der Tat. Dennoch bleibt die Reise ins Ausland, weltweit gesehen, nach wie vor einer kleinen Minderheit der Menschheit vorbehalten: Nur gerade 5 Prozent der Weltbevölkerung, so schätzt die WTO, kommt in den Genuß des Privilegs, überhaupt außer Landes zu reisen, dies dafür meist gleich mehrmals im Jahr. So unternimmt etwa die rund 6 Millionen zählende Schweizer Wohnbevölkerung durchschnittlich circa 12 Millionen Auslandsreisen jährlich.

Aus der Statistik der WTO läßt sich ablesen, wer am meisten vom internationalen Reiseboom profitiert: Rund die Hälfte der internationalen Ankünfte und annähernd zwei Drittel der Einnahmen aus dem internationalen Reiseverkehr gehen auf das Konto der Industrieländer. Während Frankreich 1998 wiederum mit Abstand die meisten fremden Reisenden empfangen konnte, vermochten die USA einmal mehr mit Abstand die höchsten Einnahmen zu verbuchen, gefolgt von Italien, Frankreich, Spanien, England und Deutschland. Auf den 7. Platz der Spitzenverdiener am internationalen Tourismus konnte sich 1998 China hieven.

Seit Beginn der achtziger Jahre konnten die Entwicklungsländer ihren Anteil am weltweiten Fremdenverkehr substantiell vergrößern. 1998 hat der afrikanische Kontinent, der seit Jahren das Schlußlicht der Tourismusmärkte bildet, mit einer Zunahme von 7,5 Prozent der Ankünfte die höchste Wachstumsrate aller Erdteile aufgewiesen, während die Region Mittlerer Osten mit 6,4 Prozent den besten Zuwachs der Einnahmen verbuchte.

Bitter fällt hingegen die Bilanz für die Region Südostasien/Pazifik aus: Die Ankünfte schrumpften 1998 um 1,2 Prozent, die Erträge gar um nahezu 7 Prozent. Bis noch vor zwei Jahren konnte Südostasien mit zweistelligen Zuwachsraten jährlich aufwarten und galt als die Boomregion schlechthin, die dem Welttourismus die entscheidenden Wachstumsimpulse verhieß. Die Wende kam 1997 erst mit den Waldbränden, dann mit der Finanzkrise. Die ausländischen BesucherInnen blieben weg, die Geschäftsreisen nahmen drastisch ab.

Der dramatische Einbruch der asiatischen Tiger versetzte der Wachstumskurve des internationalen Tourismus einen jähen Knick, der allerdings erst bei aufmerksamer Betrachtung der Statistiken der WTO zutage tritt. Noch vor Jahresfrist attestierten die ersten Hochrechnungen der WTO von 1997, die aufgrund grober Schätzungen aus den Empfängerländern erstellt werden, Zuwächse von annähernd 4 Prozent der Ankünfte und 3 Prozent der Einnahmen, was zunächst einfach als vorübergehende Verflachung des Wachstums kommentiert wurde. Die korrigierten Zahlen von 1997, die im Januar 1999 mit den ersten Hochrechnungen von 1998 vorgelegt wurden, fallen um einiges ernüchternder aus mit nur mehr gut 2 Prozent Zunahme bei den Ankünften und gar 0,1 Prozent bei den Erträgen, das heißt einer klaren Stagnation der Einnahmen.

Viel zu optimistisch hatten dabei besonders die Einschätzungen der südostasiatischen Staaten zu Buche geschlagen, die, wie erst jetzt anhand der definitiven Ergebnisse deutlich wird, bereits für 1997 einen klaren Rückgang des Tourismusgeschäftes zu verzeichnen hatten.

Sicher ist, daß der Welttourismus keineswegs so unerschütterlich wächst, wie die Jahr für Jahr so beeindruckenden Zahlen weismachen. Doch genau sie verleiten weltweit dazu, auf den Tourismus zu setzen als sicheren Ausweg aus Krise und Wirtschaftsflaute. Insbesondere die Länder Südostasiens, für die der Tourismus oft nicht bloß der größte Devisenbringer, sondern auch einer der wichtigsten Arbeitgeber darstellt, kurbeln nun nach Erhalt der millionenschweren Rettungskredite die Tourismusindustrie wieder mächtig an, um die Auflagen der internationalen Gläubiger, allen voran des Internationalen Währungsfonds (IWF), zu erfüllen. Unbesehen davon, wie fragil sich dieser Eckpfeiler der Wirtschaft gerade eben erwiesen hat, mußten doch in den Asean-Staaten in der Folge des Tourismuseinbruchs zwei Millionen Arbeitsplätze gestrichen werden. Und – obwohl von seiten tourismuskritischer Organisationen dringend eingefordert – hat noch keine der betroffenen Regierungen ernsthaft abgeklärt, inwiefern die seit Jahren immer gigantischer werdenden Tourismusvorhaben, die mehrere hundert Hektar großen „Golf-cum-Casino-Resorts“ und die damit verbundene Immobilienspekulation ihrerseits zum allgemeinen Finanzdebakel beigetragen haben.

Wiederbelebt werden soll das Geschäft mit dem Fremdenverkehr, wie die Tourismus-Minister der Asean-Region kürzlich auf einer Tagung in Singapur verlauten liessen, mit einem erheblichen Ausbau der ganzen Palette der Investitionsanreize für fremde Anleger: Gefordert werden unter anderem Steuerfreiheit für neue Anlagen, insbesondere Hotels, Resorts und Golfplätze, sowie 100 Prozent Eigentumsrechte für ausländische Investoren. In Thailand wird sogar das Recht auf Landkauf für Ausländer diskutiert, was bislang ein absolutes Tabu war.

Während ausländische Unternehmen damit in klassischer Weise weitere Freiheiten zugestanden bekommen, wie sie in der Logik der Freihandelsabkommen im Dienstleistungsbereich vorgezeichnet sind, werden die Staatskassen der Empfängerländer mit zusätzlichen Kosten für aufwendige Werbeprogramme im Ausland belastet. So sollen etwa die Philippinen 6 Millionen US Dollar in die ihnen anvertraute Vorbereitung des „Visit Asean Year 2002“ stecken. Wie die Rechnung unter dem Strich ausgeht, zeigt eine erste Bilanz aus Thailand, das im vergangenen Jahr mit dem Promotionsprogramm „Amazing Thailand“ aufwarten konnte: Während 1998 rund 7 Prozent mehr ausländische Gäste das Land bereisten, fielen die Einnahmen im selben Zeitraum um satte 10 Prozent.

Wiederholt hat die hiesige Fachpresse im letzten Jahr Thailand als das günstigste Reiseland der Welt gepriesen, und die Kundschaft ließ sich angesichts der verlockenden Billigangebote nicht lange bitten. Profitieren konnte sie vom Verfall der lokalen Währung, aber vor allem auch vom Umstand, daß die lokalen Anbieter aufgrund der schlechten Auslastung der Betten zu Beginn des Jahres die Preise massiv senken mußten. Anders gesagt, ermöglichte der Rückgang der Tourismusgeschäfte den Reiseveranstaltern aus den wichtigsten Entsendeländern, die Preise neu auszuhandeln, sprich so zu drücken, daß ein Zimmer sogar im Luxushotel für unter 50 US Dollar pro Nacht erhältlich wurde.

Die mächtigen Reisekonzerne haben bei solchen Verhandlungen eindeutig die besseren Karten, denn sie können bei Bedarf jederzeit auf andere Häuser oder gar Destinationen ausweichen. Längst herrscht ein Bettenüberangebot, und dies nicht nur in Thailand, wo die Hoteliers heute für die vehemente Expansion der letzten Jahre zur Kasse gebeten werden. In Vietnam oder in Indonesien unterbieten sich die Hoteliers ebenso gegenseitig im ruinösen Wettbewerb. Dank der Weitsichtigkeit der internationalen Finanzexperten, die weltweit unbeirrt dasselbe Tourismusrezept zur Wirtschaftssanierung empfehlen, drängen immer mehr Länder mit vergleichbaren Hotels, Stränden und Attraktionen auf den Markt.

Da liegt es auf der Hand, daß die Reiseveranstalter heute Angebote über die Grenzen der Länder und Kontinente hinweg gegeneinander ausspielen, bis die Betten unter den realen Kosten verschleudert werden. Die Reisenden hierzulande freut's, denn so können sie sich auch bei knapperer Kasse einen tollen Urlaub leisten. Und der Tourismus wächst beständig – „quod erat demonstrandum“.

Daß die Tourismusländer unter hartem Konkurrenzdruck stehen und die Kosten zur Erhaltung der Attraktivität die Staatskasse eines Ziellandes enorm belasten können, hat mittlerweile sogar die Europäische Kommission in ihrem Bericht zum nachhaltigen Tourismus vom November 1998 erkannt. Tourismus ist in jüngster Zeit wegen seiner kaum mehr übersehbaren Auswirkungen auf die lokale und globale Umwelt vermehrt ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Gerade auch von seiten der internationalen Branchenverbände und der WTO wird heute der Ruf nach Nachhaltigkeit im Tourismus immer lauter, in erster Linie natürlich zur Erhaltung des touristischen Potentials.

Christine Plüss arbeitet für den Schweizer Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung