■ Pro: Warum dieses neue Staatsbürgerrecht akzeptabel ist
: Mangelhaft und trotzdem gut

„Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das ehrlich und nüchtern zu sehen und zu sagen, ist bisher auch von höchster Stelle versäumt worden.“ Das schrieb die Welt 1964. Es war eine Antwort auf die landesweite Debatte „Bringen Gastarbeiter Mord und Todschlag in friedliche Städte?“ Messerscharf analysierte die Welt: „Die einwanderungspolitischen Versäumnisse sind mit schuld am Unbehagen derer, die sich mit Gastarbeitern nicht anfreunden können.“

35 Jahre später ist man nicht sehr viel weitergekommen. Zwar sagt man heute statt Gastarbeiter Ausländer. Aber die Deutschen wollen immer noch nicht so richtig anerkennen, daß die Millionen zugewanderten Menschen schlicht Einwanderer sind. Folglich mangelt es an aktiver Integrationspolitik, an einem Einwanderungs- und Antidiskriminierungsgesetz und vielem anderen mehr.

Trotz alledem, es geht voran. Nach 85 Jahren gönnt sich das Land etwas Besonderes. Eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Es nimmt endgültig Abschied vom Abstammungsprinzip und ergänzt das Jus sanguinis mit dem Jus soli. Das verdient allerhöchstes Lob. Denn bislang verklebte das Blut den Deutschen die Hirne. Die Folgen für die Ausländerpolitik sind bekannt: Wo andere Länder pragmatisch nach Lösungen suchen und sie auch finden, geht es hierzulande mindestens um das Grundsätzliche, um Identität und anderen Blödsinn. Und das braucht Zeit. Deshalb muß in der Ausländerpolitik in ganz anderen Dimensionen gedacht werden als zum Beispiel in der Sozialpolitik.

Natürlich ist das geplante Gesetz zur Reform des Staatsbürgerrechts mangelhaft. Es fordert von den Einbürgerungswilligen Straflosigkeit und die Sicherung des Unterhalts. Auch sind die Möglichkeiten für die Mehrstaatlichkeit sehr viel restriktiver ausgefallen, als sich dies die Befürworter der generellen Hinnahme des Doppelpasses gewünscht haben. Angesichts der Diskrepanz zwischen Gewünschtem und Erreichtem kann man sich in die Schmollecke zurückziehen und mit dem Schicksal, ausgerechnet in diesem Deutschland zu leben, hadern. Oder man kann die ganze Reform für null und nichtig erklären, wie dies einige fordern. Politisch naiv sind beide Reaktionen, da man dann für seine Ziele definitiv ein anderes Volk suchen müßte.

Wer in der Bundesrepublik erfolgreich Ausländerpolitik betreiben will, der kommt an einigen Grundkonstanten deutscher Befindlichkeit nicht vorbei. Da ist zunächst die geschlossene Neidstruktur der Deutschen. Die Befürworter des Doppelpasses haben die verheerende Wirkung des Begriffes auf die Menschen, die nur einen Paß haben, völlig unterschätzt. Wenn ein Teutone nur einen Paß hat, darf ein Neudeutscher niemals nicht zwei haben. Die Begeisterung vieler Bürger für die Unterschriftenaktion der Union war die logische Quittung.

Zweitens: Als Deutscher hat man nichts zu verschenken. Wer etwas will, der hat sich das im Schweiße seines Angesichts auch zu verdienen. Und da man Ausländer für die Erarbeitung von Bürgerrechten nicht dienstverpflichten kann, muß man die gesetzlichen Regelungen zumindest so kompliziert halten, daß er zumindest beim Lesen der Regeln und Ausnahmen verwirrt ist und Kopfschmerzen davon bekommt.

Drittens: Beim Thema Ausländer verspürt jeder Deutsche den Zwang, sich grundsätzlich zu äußern. Es bietet die Chance, als Liberaler, Linker und Konservativer klares Profil zu zeigen. Das haben FDP, SPD, PDS, CDU, CSU und Grüne seit Anfang der 90er Jahre hinreichend getan. Das Spiel ist nun aus und das Gesetz schnellstens durch Bundestag und Bundesrat zu peitschen. Schließlich weiß man nie, was dem einen oder anderen noch in der Verlängerung einfällt. Das Nähere regelt ohnehin die nächste Zukunft mit neuen Ausnahmeregelungen.

Eberhard Seidel-Pielen ist Redakteur der Meinungseite der taz und beschäftigt sich mit Themen der Migration