Ein Staatsmann der Musik ist tot

■ Yehudi Menuhin starb im Alter von 82 Jahren in Berlin. Zeitlebens war er mehr Visionär als Virtuose. Noch als er die Geige beiseite gelegt hatte, warb er rund um den Erdball für die musikalische Botschaft

Berlin (taz) – Zu Zeiten seines größten Ruhms war er mehr Botschafter als Musiker. Yehudi Menuhin, der Philanthrop an der Geige, hatte seit den fünfziger Jahren den Terminplan eines Außenministers. Pausenlos jettete er um die Welt, gab Benefizkonzerte, sprach mit Politikern, nahm Preise und akademische Ehrentitel entgegen, engagierte sich global wie lokal im Sinne humanistischer Ideale. Der in Britannien zum Lord geadelte Menuhin war einer der letzten Universalisten der Musik, sein Credo: „Kein Mensch darf dumpf vor sich hinfiedeln, wenn die Welt in Flammen steht.“

Vom Verdacht, nur ein kleiner Fiedler zu sein, hatte er sich freilich schon früh befreit. Menuhin, am 22. April 1916 als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer in New York geboren, begann seine Karriere als Wunderkind. Mit 10 gab er ein umjubeltes Konzert in Paris, mit 11 nahm er – in kurzen Hosen und mit Bluse! – die Carnegie Hall im Sturm. Als er mit 13, unter Bruno Walter als Dirigent, in der Berliner Philharmonie brillierte, war er bereits ein internationaler Star.

Das Konzert wurde als das „Konzert mit den drei B“ legendär, weil Menuhin sowohl Bach als auch Brahms und Beethoven aufs Programm gesetzt hatte. Die Angst vor zuviel Potpourri war seine Sache sowenig wie die Reserve vor dem Gefälligen und Populären. Zeitlebens behielt der Autodidakt – dessen Spiel schon im zarten Alter als reif und persönlich galt, aber stets auch Sinn für den Effekt aufwies – eine antielitäre, manchmal naiv anmutende Grundhaltung bei, die er gegen Kulturpessimismus und Kunstmetaphysik ins Feld führte. Er sah sich weniger als Genie alten Schlags denn als pragmatischer Menschenfreund und Visionär einer besseren Zukunft.

Menuhins Menschenliebe war aber auch aus Entsetzen geboren. „Wir wußten ungefähr, was uns erwartete. Aber nichts hätte uns seelisch oder visuell auf das vorbereiten können, was uns erwartete“ – solches gab er Reportern zu Protokoll, nachdem er zusammen mit dem Komponisten Benjamin Britten das Konzentrationslager Bergen-Belsen besucht hatte. Direkt nach Kriegsende brach Menuhin zusammen mit Britten zu einer Konzerttour durch die Konzentrationslager auf, gleichzeitig aber spielte er an der Seite Wilhelm Furtwänglers in den Trümmern Berlins Beethoven.

Seine Bereitschaft, Frieden auch mit den Angehörigen des Tätervolks zu feiern, hat ihm Morddrohungen eingebracht. Nach Israel durfte Menuhin erst Jahre nach der Staatsgründung reisen. Was ihn nicht daran hinderte, weiter neugierig zu bleiben. Er musizierte mit dem indischen Sitar-Star Ravi Shankar, aber auch mit Stéphane Grapelli und den Jazzern des Hot Club de France. Noch als er die Geige beiseite gelegt hatte, warb er als graumähniger Elder statesman für die gesamtmusikalische Botschaft. Am Freitag ist Yehudi Menuhin im Alter von 82 Jahren in Berlin gestorben. tg