piwik no script img

Leben online

Demontage des Medienkunstmilieus: Falk Richters „Gott ist ein DJ“ am Mainzer Staatstheater uraufgeführt  ■ Von Eva Behrendt

Dem Theater ist nichts Menschliches fremd, auch nicht die Popkultur. Über DJs, Videoclips, Manga- und Tarantino-Zitate auf offener Bühne ärgern sich allerdings nicht nur manche Abonnementzuschauer, sondern auch eingefleischte Clubgänger: Die tranige Theatermaschine pfropfe Pop-Partikel in bloß bemühter Jugendlichkeit aufs Schauspiel. Vielleicht ist der zeitliche Verzug aber gerade der Trumpf. Sind die Hypes erst mal durch diverse Reflexionsapparate gedreht, können sie gezielt, kritisch und ironisch eingesetzt werden.

Wie das funktioniert, versucht Falk Richter mit „Gott ist ein DJ“ zu zeigen; ein Theaterstück, das mediale Inszenierungen, kunsttheoretische Schnipsel, elektronische Musik und den drumrumgewundenen Kunstanspruch thematisiert. Die Uraufführung von Richters Zwei-Personen-Auftragswerk findet im beengten TiC statt, der einsparungsbedrohten Studiobühne des Mainzer Staatstheaters, die früher mal ein Kino war.

In Bezug auf die Triade Theater, Pop und Medien ist Mainz ein guter, da potentiell widerständiger Ort. Inszenierungstechnisch engagiert sich die Landeshaupstadt hauptsächlich in Richtung katholische Messen und Rosenmontagsumzüge, leistet sich ein eher dürftiges Clubleben und das große ZDF auf dem Lerchenberg. Am Staatstheater liegt der Akzent auf der Dramatik des britisch-amerikanischen Reality-Theaters, es zeigt aber auch Uraufführungen junger deutscher Autoren und Regisseure in Personalunion, beispielsweise das hochgelobte „Aus den Städten in die Wälder, aus den Wäldern in die Städte“ von Roland Schimmelpfennig.

Während letzterer für eigensinnig unzeitgemäße Theaterpoesie steht, favorisiert Falk Richter die zeitgemäße Kommentierung des Zeitgeistes. Auf technoid-spartanischer Wohn- und Schlafzimmer- Bühne, überschattet von einer beigegerahmten Leinwand, ist Gott nicht der Dreifaltige, sondern ein DJ, wie der zitierte Techno- Ohrwurm von Faithless behauptet. Und Gott ist ein Label. Flotte Gott-Logos kleben auf sämtlichen Requisiten; und das Mischpult ragt gleich einer Kanzel direkt neben Polsterbettgarnitur empor (Ausstattung: Katrin Hoffmann).

Gott-Werden ist nämlich das unbescheidene Kunst- und Lebensprojekt eines ambitionierten Yuppie-Pärchens – er Goldie-vergötternder DJ (Frank Röder), sie aussortierte TV-Moderatorin (Heidi Züger). Der „Masterplan“ besteht vorgeblich in der Schöpfung eines neuen Sounduniversums, dem „Soundtrack zu unserem Leben“, den die zwei Hübschen nach jahrelangem Samples- Sammeln zusammenbasteln wollen. Doch vor dem Welt- steht noch ein Kunstprojekt, das Kohle bringen soll. Dazu haben die zwei sich, ihr Apartment und ihren Alltag zur Installation erklärt. Beinahe ununterbrochen setzen sie sich einer Kamera aus, leben sozusagen online.

Aus dieser gar nicht mal so grotesken Situation – man denke an das „öffentliche Wohnen“ des Berliner Künstlers Käthe B anno 95 oder ins Internet gespeistes Real Life – ergeben sich skurrile Effekte. Egal, ob die beiden Nudeln kochen, streiten, sich küssen, ihre Biographien oder die Geschichte ihres Kennenlernens ausbreiten: Zunehmend verknoten sich die verschiedenen Fiktionsebenen, immer verschwommener werden die Grenzen zwischen Aussage und Zitat, Spiel und Ernst, gutem und schlechtem Geschmack. Zumal die Inszenierung der beiden Künstlerfiguren durch die Theaterbühne gedoppelt und damit der Anstoß zu einem verwirrenden, unendlichen Inszenierungsdomino gegeben wird.

Darin treibt Richter es ziemlich weit: zum einen, indem er die Figuren ein kunstsinniges Zitat- und Theorienkauderwelsch wiederkäuen und den selbstverzapften Medienhype als lukrative Publikumsverarschung offenbaren läßt. Zum anderen, indem die Geschichten und Dialoge der beiden immer absurder und boshafter geraten. Menschen verstümmeln sich so ausschweifend in der Nachttankstelle, Töchter vergewaltigen so hartnäckig ihre Mütter, bis irgendwann unklar ist, ob die beiden nur über einen Film reden oder ob das alles „wirklich“ geschah.

Am Ende erwischt die Irritation sogar die eingeschworene Zweisamkeit. Er berichtet von der sexuellen Mißhandlung durch den eigenen Vater, sie nimmt — mit dem Publikum — auch das als Pose. Keine noch so krude Beichte, kein Zeugnis und Geständnis ist mehr ernst zu nehmen, Ernst wird zum besseren Witz. Eine zynische Antwort auf die bitteren Briten. Ob es allerdings eine gute Idee ist, Autoren ihre eigenen Werke uraufführen zu lassen?

Falk Richter will jedenfalls Theater, nicht Performance oder Media Art. Das ist okay. All die Kameras und Turntables, an denen die Protagonisten hängen wie die Junkies, bleiben Requisiten, die weder Text noch Körper in den Hintergrund drängen. In einem Punkt scheint der Regisseur jedoch Angst vor der Courage des Autoren bekommen zu haben: Er läßt die Schauspieler beinahe durchgängig parodieren. Im Understatement-Clubwear inklusive Gürteltäschchen hopsen, plappern und kieksen die beiden, als seien sie Schauspielschüler auf Speed.

Vor allem Heidi Züger unterlegt fast jedes Wort einzeln mit einer exaltierten Geste. So weit geht nicht mal das peinlichkeitsresistenteste Viva-Girlie. Mit der totalen Verulkung des schicken Pärchens, dem der Autor durchaus auch abgefeimt Schlaues und sehnsüchtig Lyrisches in den Mund legt, kippt dann die schöne Ambivalenz der Stückvorlage etwas zu rasch in die Lieblingsbotschaft einer konservativen Theaterlobby: Moderne Kunst ist doch nur pseudo, und die Videogeneration wandelt auf Holzwegen.

Weitere Aufführungen: am 24.3., 1., 10. und 25.4. um 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen