„Ja, wir sind fremdenfeindlich“

Am Anfang stand für die Albert-Schweitzer-Gesamtschule eine schmerzliche Selbsterkenntnis. Nun nennt sie sich als einzige in Brandenburg „Schule ohne Rassismus“  ■ Von Marina Mai

Beeskow (taz) – Die Albert- Schweitzer-Gesamtschule liegt gleich hinter der Stadtmauer des schmucken ostbrandenburgischen 9.000-Seelen-Städtchens. Sie ist so etwas wie eine Vorzeigeschule, und das nicht deshalb, weil das alte Gemäuer eine neue Fassade mit modernen Fenstern erhielt. Die Schule ist die einzige im Land Brandenburg, die den Titel „Schule ohne Rassismus“ trägt. Bundesweit hat die „Aktion Courage e.V.“ diesen Titel an 34 Schulen vergeben. Auch Schulen in Belgien und den Niederlanden arbeiten in dem internationalen Projekt gegen Rassismus mit.

Verbale Attacken gegen ausländische Mitschüler und Schüler, die sich gegenseitig krankenhausreif schlagen – das gibt es auch an der „Schule ohne Rassismus“. Aber hier gibt es eine Öffentlichkeit dagegen. Von einer kulturellen Hegemonie der rechten Jugendszene wie an einigen anderen Brandenburger Schulen kann hier keine Rede sein. Selbstbewußt tragen Schülerinnen Punk- und Langhaarfrisuren. An anderen Schulen in der Mark würde dies wahrscheinlich gewalttätige Attacken von Nachwuchsskins provozieren. Dabei ist der Anteil von Schülern aus anderen Kulturen auch in Beeskow denkbar klein: Unter den 781 Schülern lernen 16 Aussiedler aus den GUS-Staaten und drei Flüchtlinge aus Bosnien.

Angefangen hatte alles im Sommer 1997. Die Beeskower hatten ihre Partnerschule aus dem nordrhein-westfälischen Kamen zum gemeinsamen Theaterspielen eingeladen. Unter den Gästen waren drei türkische Schüler – an der Beeskower Schule mußten sie sich anpöbeln lassen, erinnert sich die Zwölftkläßlerin Anja Götze: „Als man unsere Gäste anfeindete, konnten wir nicht länger ignorieren, daß es bei uns ein Problem in puncto Fremdenfeindlichkeit gibt.“ Die Kamener berichteten, daß sie sich als „Schule ohne Rassismus“ bewerben – und ermunterten die Brandenburger Partnerschule mitzumachen.

Schülersprecherin Götze empfand die Diskussion, die daraufhin an ihrer Schule einsetzte, als „sehr schmerzlich“. „Wir mußten uns eingestehen: Ja, wir sind fremdenfeindlich! Und dann diskutierten wir: Wollen wir es dabei belassen?“

In der achten Klasse das größte Problem

Voraussetzung für den Titel „Schule ohne Rassismus“ ist, daß mindestens 70 Prozent der Schüler, Lehrer und Schulmitarbeiter sich in einer anonymen Befragung dafür aussprechen. In Beeskow waren es 77 Prozent. Seit dieser Umfrage können sich die rechten Schüler, die es an der Gesamtschule auch gibt, nicht länger zu Vollstreckern des Mehrheitswillens erklären.

Gewalt an der Schule wird nicht, wie anderswo, bagatellisiert, um dem Ruf der Schule nicht zu schaden. Schüler, Lehrer und Elternvertreter haben Kriseninterventionsteams gebildet. Sie gehen gezielt in die problematischen Jahrgänge, meist 7. und 8. Klassen, und versuchen in Einzelgesprächen, Konflikte gewaltfrei auszutragen. Als Erfolgsrezept gilt dabei, daß Schüler älterer Jahrgangsstufen die Gespräche führen. „Sie treffen am besten die Sprache der Achtkläßler“, meint eine Lehrerin.

An Projekttagen und in Nachmittags-Arbeitsgemeinschaften machten sich die Schüler mit fremden Kulturen vertraut. Anja Götze erklärt dem Pressefotografen selbstbewußt, warum Aussiedler trotz fehlender Sprachkenntnisse Deutsche sind. Über die Fluchtgründe von Asylsuchenden hat amnesty international die Schüler informiert. Und es wurden Kontakte zu einer jüdischen Schule in Berlin hergestellt, um sich über jüdische Kultur zu informieren. Früher sei „Jude“, schaut Anja Götze zurück, für viele Schüler ein Schimpfwort gewesen. Durch den Kontakt nach Berlin habe das Wort einen neuen Inhalt bekommen. Leider fehlt es an allen Ecken am Geld. Die von vielen Schülern gewünschten Fahrten zu KZ-Gedenkstätten fielen ins Wasser. Weder das Brandenburgische Bildungsministerium noch viele Eltern konnten das bezahlen.

Von Politik und Justiz fühlen sich die Schüler und Lehrer allerdings oft allein gelassen. „Wenn ich einen fremdenfeindlichen Gewalttäter anzeige“, berichtet ein Schüler von seinem Dilemma, „muß ich doch damit rechnen, eins auf den Deckel zu bekommen.“ Und eine Lehrerin weiß von einem konkreten Fall: Ein Ermittlungsverfahren gegen einen Schüler, der im Klassenraum den Hitlergruß zeigte, wurde eingestellt. Begründung: Ein Klassenraum sei kein öffentlicher Raum. Klärung erhofft man sich nun von Brandenburgs Justizminister Hans Otto Bräutigam, der den Schülern und Lehrern nach einem Besuch vergangene Woche versprach, den Fall zu prüfen.

Obwohl gerade die für Beeskow zuständige Staatsanwaltschaft in Frankfurt (Oder) für einen harten und professionellen Umgang mit der rechten Szene bekannt ist, empfinden viele Schüler und Lehrer die strafrechtlichen Konsequenzen als zu milde. Sowohl Schüler als auch Lehrer plädierten für das New Yorker Modell: eine erhebliche Personalaufstockung bei der Polizei und einen Strafvollzug, in dem, so eine Schülerin, „die Straftäter wieder richtig Zucht lernen“. Aber auch ein Antidiskriminierungsgesetz gehört zum Forderungskatalog der Schüler.